Der schlimmste Anschlag in New York bis zum 11. September 2001 ist heute fast vergessen – wie Agenten von Kaiser Wilhelm 1916 ein gewaltiges Munitionsdepot neben der Freiheitsstatue hochgehen ließen

Black Tom Island, nach der Explosion

Black Tom Island war eine winziges Stück inselartiges gegenüber der Freiheitsstatue. Der Name soll von einem „dunkelhäutigen“ Fischer stammen, der viele Jahre dort lebte. Von 1905 bis 1916 füllte die Eisenbahngesellschaft Lehigh Valley Railroad Company das Marschland zwischen Black Tom und dem Festland in New Jersey auf, um es nutzen zu können.

Der Erste Weltkrieg begann am 28. Juli 1914. Bevor die USA am 6. April 1917 in den Konflikt eintraten, vertrat Präsident Woodrow Wilson offiziell eine Politik der Neutralität. Tatsächlich begannen die USA schon bald nach Ausbruch des Kriegs, die alliierten Mächte England, Frankreich, Italien und Russland – die Feinde Deutschlands – mit Material zu versorgen. Ein Großteil der Lieferungen erfolgte von einem riesigen Depot auf Black Tom Island.

Karte aus dem Jahr 1915

Trotz der enormen Mengen an brandgefährlichen Materialien waren die Maßnahmen zur Sicherung der Anlage und damit zum Schutz der Zivilbevölkerung der weniger als 5 km entfernten Stadt Jersey City mit ihren über 250.000 Einwohnern lax, wie sich später herausstellen sollte.

In der Nacht vom 29. auf den 30. Juli 1916 befanden sich über 900.000 Kilogramm Munition auf Black Tom und in Kähnen davor, die auf den Transport nach Europa warteten. Darunter Granatsplitter, Schwarzpulver, TNT und Dynamit. So war Kahn Johnson Barge Nr. 17 mit rund 45.000 Kilogramm TNT geladen.

Kurz nach Mitternacht wurden kleine Brände auf dem Pier entdeckt; die Reaktion der acht diensthabenden Wachmänner war die Flucht zu ergreifen. Um 2:08 Uhr ereignete sich eine gewaltige Explosion.

Viele Jersey City Bewohner wurden aus dem Schlaf gerissen und versammelten sich am Hafen, um zu sehen, was los war. Einsatzfahrzeuge in der Stadt reagierten auf Alarme, ohne richtig zu verstehen, was vor sich ging. Eine Störung des Telefondienstes führte zu einem Informationsblackout.

Metallsplitter trafen den Uhrenturm des Jersey Journal Building mitten in der Stadt, und die Zeit blieb bei 2:12 Uhr stehen. Die Explosion erschütterte die Hudson Tube, ein Schienennetz unter dem Hudson River, das Jersey City und Manhattan verband. Die Freiheitsstatue wurde durch Granatsplitter beschädigt, viele stecken bis heute in ihrem Sockel.

Neu angekommene Einwanderer auf dem nahen Ellis Island und rund 500 Menschen, die auf Hausbooten und Lastkähnen im Hafen lebten, mussten evakuiert werden. Auf der anderen Seite des Hudson, in Manhattan, zersplitterten Fenster bis hoch zum Times Square.

Schnell stellte sich heraus, dass das Black Tom Depot mit seinen Güterwaggons, Lagerhäusern, Lastkähnen, Schleppern und Piers fast komplett zerstört wurde.

Hunderte Menschen wurden verletzt. Zu der Gesamtzahl der Todesopfer gibt es unterschiedliche Angaben. Sicher ist, dass ein zehn Wochen altes Baby, das aus seinem Bettchen geschleudert wurde, starb, wie auch Streifenpolizist James F. Doherty aus Jersey City. Auch ein Wachmann am Gelände und der Kapitän der Johnson Barge Nr. 19 kamen ums Leben. Der gemeldete Sachschaden belief sich auf über 20 Mio. USD (heute laut Inflationsrechner 613 Mio. USD).

Später wurde errechnet, dass es sich um eine der heftigsten nicht nuklearen Detonationen in der Weltgeschichte handelte, vergleichbar mit einem 5,5 Erdbeben auf der Richterskala.

Wie genau die Explosionen ausgelöst wurden, konnte nie zweifelsfrei geklärt werden, aber am wahrscheinlichsten halten Historiker folgendes Szenario:

Im Schutze der Nacht platzierten die deutschstämmigen Saboteure Kurt Jahnke und Lothar Witzke sowie der österreichische Einwanderer Michael Kristoff, geleitet vom kaiserlichen Kapitän Franz von Rintelen, sogenannte “Zigarrenbomben” – hoch entwickelte, unauffällige Sprengsätze. Zeitzündungstechnologie ermöglichte es den Männern zu verschwinden, bevor die Bomben detonierten.

Kurt Jahnke

1939, nach siebzehnjährigen Untersuchungen, kam die “German-American Mixed Claims Commission” zu dem Ergebnis, dass Deutschland verantwortlich für die Tat war und es wurde festgelegt, dass Zahlungen von 50 Mio. USD (heute circa. 1.1 Mrd. USD) zu leisten waren, was aber aufgrund des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs nicht geschah. Die Summe wurde aber Teil von Reparationen, die nach dem Zweiten Weltkrieg ausgehandelt wurden und die Deutschland bis 1979 leistete.

Aus verschiedenen Gründen wurde keiner der mutmaßlichen Saboteure jemals verurteilt. Es gab Anklagen gegen die Betreiber der Anlage und die Eisenbahn, wegen Fahrlässigkeit, die aber auch zu keinen Verurteilungen führten. Black Tom wurde später weiter aufgeschüttet und ist Teil des Liberty State Parks in Jersey City.

Heute ist die “Black Tom Explosion” nur wenigen Menschen noch ein Begriff. Tatsächlich gilt sie bei Historikern als einer Gründe für den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg.