Gewaltverbrechen in New York – Kontext und Hintergründe abseits des Medienhypes

Die New Yorker Polizei bei der Spurensicherung – Foto NY Times

Gewaltverbrechen in New York gehen weltweit durch die Medien. Oft entsteht der Eindruck, dass sie weit verbreitet sind, die Situation immer schlimmer wird und man die gefährliche Stadt vielleicht am besten meidet. Meist fehlt in der Berichterstattung Kontext und Hintergründe. Die wollen wir in diesem Artikel geben.

Historische Einordung

Zahlen stammen vom New York Police Department NYPD. Die Einwohnerzahl liegt um die 8.5 Mio. Dazu kommen die Millionen von Menschen, die New York besuchen oder in die Metropole pendeln.

Morde

2023 wurden 391 Morde verzeichnet. 2022 waren es 438. Das absolute Tief war 2017 mit 295 solcher Gewalttaten. Die Zahl der Morde lag 2010 bei 536, im Jahr 2000 bei 673 und 1990 bei 2.262.

Vergewaltigungen

2023 wurden 1.455 Vergewaltigungen gemeldet. Im Jahr zuvor waren es 1.617. 2010 gab es 1.373 gemeldete Vorfälle, im Jahr 2000 waren es 2.068 und 1990 3.126.

Bewaffnete Raubüberfälle

Die Stadt verzeichnete 13.831 Raubüberfälle im Jahr 2021, im Vorjahr waren es 13.106, 2010 gab es 19.486 solcher Delikte, 2000 waren es 32.562 und 1990 100.280. Der Begriff Bewaffneter Raubüberfall (Armed Robbery) umfasst viel. Nur ein kleiner Bruchteil sind Vorfälle, in denen ein Täter einen Fremden mit einer Schusswaffe bedroht, mehr fallen in die Kategorie ‘Jugendliche untereinander mit Messer’.

Hier eine kurze einseitige Zusammenfassung der Gewaltverbrechen in den letzten 30 Jahren des NYPD.

Im Vergleich zu anderen Städten in der Welt und in den USA

Das New York Police Department beschäftigt um die 40.000 Menschen

In New York gab es 2023 weniger als 5 Morde pro 100.000 Einwohner. Im mexikanischen Bundesstaat Colima waren es laut dortiger Behörden 181 im Jahr 2022. Das ist ein extremes Beispiel, aber es gibt eine Vielzahl von Städten auf der Welt mit deutlich höherer Mordinzidenz als New York.

Polizeieinsatz in Tijuana – Foto – Cronica de Hoy

Auch im nationalen Vergleich steht New York gut da. Die Universität Rochester Institute of Technology wertete letztes Jahr FBI Daten aus. Unter dem Millionenstädten lag Chicago mit 25 Morden pro 100.000 Einwohnern, also fünfmal so viel wie New York, obenauf. Es gibt kleinere Städte mit weitaus höherer Inzidenz, wie zum Beispiel St. Louis, Foto unten.

Foto St. Louis Post

Wo und unter wem spielen sich schwere Gewaltverbrechen ab?

NYPD in der U-Bahn Foto – Liz Albright

Ein Großteil von schweren Gewaltverbrechen spielen sich in Vierteln ab, in denen zusammen weniger als 15% der Bevölkerung lebt und die zu den ärmsten Gegenden der Stadt gehören: Ozone Park (Queens), East New York (Brooklyn), Brownsville (Brooklyn) und Teile der Bronx. Solche Gegenden nennt man hier ‘High Crime Areas’.

Die Bewohner dort sind zum Großteil Afroamerikaner, und auch einige Hispanics. Das spielt sich in der Demographie der Opfer wider, wie das NYPD berichtet. Obwohl Afro-Amerikaner nur 24% der Bevölkerung stellen, stammen 67% der Mordopfer aus der Gruppe. Bei Weißen sind die Zahlen 43% und 6%.

Spektakulärer Fall in dem eine Frau zerstückelt in East New York aufgefunden wurde. Wie bei vielen spektakulären Taten, spielt Geisteskrankheit eine Rolle – Foto Tom Cotton

Das typische Gewaltverbrechen spielt sich in einer der ‚High Crime Areas‘ unter Minderheiten ab, oft sind Drogenhandel- oder Konsum im Spiel. Dann gibt es die überall üblichen Motive wie Eifersucht, Geldgier, angestaute Wut. Es können auch Sachen wie ein Streit unter Rappern sein, der durch Social Media Posts angeheizt wurde und außer Kontrolle geriet. Fast immer kennen sich die Opfer bei schweren Taten wie Mord oder Vergewaltigung.

Während sich der überwiegende Teil der Gewaltverbrechen in relativ wenigen Vierteln abspielt, darf man nicht vergessen, dass auch dort zum allergrößten Teil anständige, hart arbeitende Menschen leben. Es sind keinesfalls ‘kriminelle Ghettos’ oder gesetzlose Niemandsländer, wie sie leider oft dargestellt werden.

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Frank James, Nachrichten von seinem Amoklauf in einer U-Bahn Station in Queens, bei dem am 13. April 2022 Menschen teilweise schwer verletzt wurden, gingen um die ganze Welt – Foto NYPD

Warum klaffen die Wirklichkeit und das Image der Stadt bei der Kriminalität oft so weit auseinander?

Krimikönigin Mariska Hartigay beim Dreh der Krimiserie ‘Law + Order – Special Victims Unit’. Film- und TV prägen das Bild, das die Menschen von New York haben.

Obwohl die Chancen, dass man Opfer eines Gewaltverbrechens, vor allem durch einen Fremden wird, extrem klein sind, hat New York bei vielen Menschen das Image einer Stadt, wo Gefahr überall lauert. Warum ist das so? Die Frage kann nur subjektiv beantwortet werden und hier ist meine Meinung.

Film- und Fernsehen

Unzählige Filme und TV-Serien haben Kriminalität in New York zum Thema. Wenn Verbrechen so oft auf Leinwand und Bildschirm erscheint, muss es ja auch einiges geben, denken sich wahrscheinlich viele Menschen.

US-Medien

Natürlich sind die US-Medien sensationslüstern und Verbrechen bringt Zuschauer und Klicks. Rechtsgerichtete TV-Sender, Seiten und Zeitungen wie die New York Post oder Fox News haben aber auch eine politische Agenda. Sie wollen das liberale, von oben bis unten demokratisch regierte New York als verkommenen, gesetzlosen Sündenpfuhl erscheinen lassen.

Bei Berichten zu Verbrechen gibt es dort die immer gleichen Zitate wie schlimm alles wurde, wie der Staat versagt und dass man nur noch weg will. Wohin wird normalerweise nicht verraten, da es in den dünner besiedelten Gebieten der USA meist nicht sicherer ist.

Internationale Medien

Hier habe ich mir vor ein paar Jahren deutschsprachige Artikel zur angeblichen Verbrechenssituation in New York angesehen, einen aus der Bild, einen von der Seite der Tagesschau und einen aus dem Handelsblatt; mir einige Stellen herausgesucht und mit Kommentaren versehen, wie verzehrend und schlecht recherchiert sie sind.

Zwei Sachen haben alle Artikel gemeinsam:

-) Sensationelle Verbrechen, oft Monate alt, die nur einen kleinen Teil der Kriminalität ausmachen, werden aneinandergereiht und dargestellt, als ob sie an der Tagesordnung wären.

-) Es wird nur mit Prozentzahlen gearbeitet, wohl weil die absoluten Zahlen nicht reißerisch genug sind. In keinem der Artikel erfährt der Leser beispielsweise, dass es 468 Morde im Jahr 2021 gab, stattdessen wird mit Prozenten gezaubert.

Bild Zeitung (klicken zum Artikel)

“New York wird von einer Verbrechenswelle erschüttert, es explodiert die Gewalt“

Einige sehr außergewöhnliche Verbrechen aus den letzten Monaten, wo es tatsächlich zufällige Opfer traf, werden aneinandergereiht, um ein Horrorszenario zu vermitteln.

Es wird suggeriert, dass dies alles gang und gäbe wäre ist. Garniert wird das Ganze mit Begriffen wie ‘lähmend, Schleier der Angst und der sinnfreien Erkenntnis ‘es kann jeden treffen’ (wie ein Autounfall im Heimatort oder Sturz in der Wohnung).

Tagesschau (klicken zum Artikel)

Der mit öffentlichen Geldern arbeitende Sender macht es auch nicht viel besser. Es wird eine Deutsche gefunden, die Selbstvetrteidigungskurse in New York anbietet. Dann wird verraten, dass solche Kurse ‚boomen‘, aber kein Beleg geliefert. Wie viele Studios gibt es, die solche Kurse erst seit Kurzem anbieten? Wie viele New Yorker haben sich erst neuerdings entschieden, an so einem Kurs teilzunehmen? Das erfährt man nicht, stattdessen gibt es Zitate zweier Geschäftsinhaber, die verständlicherweise nicht frei von Eigennutz sind, eher nach dem Motto: Die Situation ist schlimm und deshalb werden Leute wie er dringend gebraucht und er ist so erfolgreich.

Ich halte mich gut auf dem Laufenden und habe noch nie etwas von diesem Boom gehört, ein Check von Google News ‚Self Defense Classes New York’ fördert nichts von diesem Trend zutage (Nur die superrechts gerichtete ‚Fox News’ schreibt leicht etwas in der Richtung.)

Handelsblatt (klicken zum Artikel)

Vielleicht der enttäuschendste aller Artikel. Der Autor, anscheinend in Kalifornien lebend, macht es sich zum Thema, wie sehr New Yorker (und Bewohner anderer US-Städte) die U-Bahn und andere öffentliche Verkehrsmittel meiden, aus Angst zu einem Verbrechensopfer zu werden. Die Zahlen, die vom U-Bahn Betreiber MTA aufs Haar genau elektronisch erfasst werden, gehen genau in die andere Richtung und heute morgen konnte ich wieder einmal keinen Sitzplatz bekommen. Aber wer lässt Fakten, besonders wenn man sie noch recherchieren müsste, im Weg einer geplanten Geschichte stehen.

Zwei weitere Indikatoren, wie verzehrt das New York Bild in den Medien oft ist

-) Die sehr aktive deutschsprachige Facebook Gruppe New York Reisetipps hat fast 20.000 Mitglieder. Ich bin die große Anzahl von Posts aus den letzten zwei Wochen durchgegangen, die zum Großteil von Leuten stammen, die gerade in der Stadt sind oder kürzlich zurückkamen. Ich fand keinen einzigen Eintrag, in dem jemand berichtete, Opfer einer Straftat geworden zu sein. Der Tenor war wie sicher und wohl sich die Leute in New York fühlten.

-) Die Mieten sind höher als jemals zuvor in der Geschichte New Yorks. Warum zahlen die Leute das, wenn sie sich laut Medienberichten ihres Lebens nicht mehr sicher sein können?

New York hat aber durchaus Probleme. Hier ist, was sich meiner Meinung nach in den letzten Jahren verändert hat

Meiner Meinung nach hat die Stadt seit Ausbruch von COVID hier und da ein anderes Feeling bekommen und man sieht Sachen, die man durchaus als (leichten) Niedergang oder Verfall deuten kann:

Ladendiebstahl hat radikal zugenommen (hierzu bald ein eigener Artikel).

Die gespürte Verkehrssicherheit hat nachgelassen, da sich die Polizei anscheinend immer weniger darum kümmert. Man sieht mehr Autos, die über Rot oder zu schnell fahren. E-Bikes und Scooter sind jetzt überall. Oft rasen sie, fahren auf dem Gehweg oder in Einbahnstraßen, entgegengesetzt des Verkehrs. Man muss als Fußgänger sehr aufpassen.

Seit Marihuana vor ein paar Jahren freigegeben wurde, scheint die ganze Stadt danach zu riechen, was vielen New Yorkern nicht gefällt.

Leerstand bei den Läden steigt immer weiter, und man sieht oft mehrere unvermietete Shops nebeneinander, was etwas deprimierend wirken kann.

Schwarzfahren: Sah man früher ab und an mal jemanden, der über das Drehkreuz sprang, ist es jetzt gang und gäbe und wird von der Polizei toleriert. Viele Bürger sehen das als Zeichen von Gesetzeslosigkeit.

Auflagen zum Warenverkauf auf öffentlichen Straßen werden kaum noch durchgesetzt und vielerorts sieht man mehr und mehr Tische aufsprießen, an denen irgendjemand irgendetwas anbietet, mittlerweile oft Marihuana, obwohl nur der Konsum, aber nicht der Verkauf derzeit legal sind.