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190 Bowery – so war das Leben in einer alten Bank mit 72 Zimmern – mitten in Manhattan

Bild von Erol Inanc

Erol Inanc

Gründer von New York Aktuell

190 Bowery 2012 – Foro Lauren Epstein

An der Ecke Bowery und Spring Street im Manhattaner In-Viertel Nolita befindet sich 190 Bowery – ein Gebäude, das jahrzehntelang mit Graffiti, Plakaten und anderer Kunst bedeckt war. Der Eingang bestand aus einer massiven, von einem Eisenzaun gesicherten Holztür. Auf Passanten machte das Anwesen einen mysteriösen Eindruck.

Die Geschichte der Immobilie ist eng mit der der deutschen Einwanderer in New York verbunden. Als 190 Bowery 1899 gebaut wurde, war die umliegende Gegend als Kleindeutschland bekannt. Hier gab es die größte Ansammlung deutscher Einwanderer und deutschstämmiger Amerikaner in ganz Amerika. Passend dazu war der Bauherr die Germania Bank. Für Bankbetrieb und Verwaltung wünschte sie sich ein Gebäude im zu dieser Zeit modischen Beaux-Arts-Stil. Die Bank wurde zu einer wichtigen Anlaufstelle für sparsame Einwanderer oder solche, die sich mit einer Hypothek den Traum vom eigenen Häuschen in der Neuen Welt erfüllen wollten (viele sahen das Leben in der engen Stadt nur als Lösung auf Zeit und hatten das Ziel, rauszuziehen, sobald es ihnen finanziell möglich wäre). Vom Entwurf des Architekten Robert Maynicke bis zur Baufirma Marc Eidlitz & Son blieb alles in deutschstämmiger Hand. Das Baubudget betrug 200.000 Dollar, eine stolze Summe für die damalige Zeit.

2011 – Foto Ed Jancick

1966 kaufte der Fotograf Jay Maisel mit seiner Frau Linda das Gebäude mit 72 Räumen auf 6 Stockwerken für 102.000 USD von der Manufacturers Hanover Bank, der die Immobilie zu dieser Zeit gehörte. Bis auf einen kleinen Teil, in dem Kundenverkehr stattfand, stand 190 Bowery zu dieser Zeit schon lange zum Großteil leer. Die Gegend ringsum galt als eine der kaputtesten von ganz Manhattan.

Während das Gebäude vor jahrzehntealtem Dreck strotzte, war die Bausubstanz zum großen Teil in hervorragendem Zustand – eine Folge der hochqualitativen Bauweise. Das Eichenparkett, das Fachwerk und die Türen waren auf schöne Art gealtert. Einige Wände waren entweder original zinngepresst oder mit detaillierten zeitgenössischen Verzierungen versehen. Mehrere Wände waren mit weißen Fliesen der Sorte bestückt, die man um die vorletzte Jahrhundertwende in New Yorks besten Gesundheitseinrichtungen finden konnte. Die kleinen Mosaikfliesen, die den Boden des Kellergewölbes bedeckten, sahen noch immer aus, als hätte man sie eben erst gelegt.

1905

Die Philosophie des Paares war es dann auch, alles Alte so detailgetreu wie möglich zu erhalten. Der originale Aufzug des Gebäudes – ein eleganter, filigraner Kupferkasten – wurde wieder in Betrieb genommen, der riesige Gussmetallofen in seinen Originalzustand versetzt. Er steht in einem großen Raum im sechsten Stock, in dem früher die Bankangestellten ihre Mahlzeiten einnahmen. Der ehemalige Banktresor wurde ein perfekter Lagerort für Jay Maisels Fotoarchiv. Natürlich musste manches neugemacht werden. Da das Gebäude vor der Erfindung von Klimaanlagen gebaut wurde, musste Maisel ein ausgeklügeltes System von Rohren entwerfen, die die von sechs verschiedenen Anlagen gekühlte Luft in jedes Stockwerk transportieren. Der Einbau einer zentralen Klimaanlage, wie sie heutzutage bei einem solch großen Gebäude üblich wäre, hätte einiges an alter Bausubstanz zerstört und ein Vermögen gekostet. Die Maisels achteten auch sehr darauf, alle Neuerungen so „unsichtbar“ wie irgend möglich zu platzieren.

Aufzug
Tresor

Ab den 1970er Jahren, als Graffiti und Streetart in New York aufkamen, war 190 Bowery eine ideale Ausdrucksstätte für Künstler, da es vermeintlich verlassen war oder zumindest einen Besitzer hatte, der die Werke nicht möglichst schnell wieder entfernen ließ. Das Ergebnis war ein spannender Kontrast zwischen dem alten, gespenstisch anmutenden Gebäude und der modernen Straßenkunst.

Nur wenige Häuser aus der Hochzeit von Little Germany haben überlebt. 190 Bowery ist eines der interessantesten, da es auch den Wandel der Stadt verkörpert. Es hat viele unterschiedliche Leute kommen und gehen gesehen, die in den einzelnen Epochen in New York zu Hause waren oder die Stadt besuchten – von deutschen Einwanderern über Graffitikünstler bis hin zu Shoppern aus der ganzen Welt, die in den schicken Boutiquen einkaufen, die es heute hier gibt. In den gut 125 Jahren, die es nun bereits an seiner Ecke steht, hat 190 Bowery viel an Veränderung in New York erlebt – auch Immobilienpreise, die ins Astronomische schossen.

Heute

2015, als ein Immobilieninvestor Aby Rosen 55 Mio. USD für das Gebäude bot, entschloss sich der damals 84-jährige Maisel, es zu verkaufen. Rosens Plan war es, das seit 2005 denkmalgeschützte 190 Bowery von außen kaum zu verändern. Bei der Umwandlung der Räume zu Laden-, Wohn- und Büroflächen sollten auch innen charakteristische Baumerkmale erhalten bleiben.

Das weltweit erfolgreiche Modelabel ‚Supreme‘, das seine Anfänge in der Skateboardszene hat und im Oktober 2019 einen großen Laden im Erdgeschoss von 190 Bowery eröffnete, nutzt die alten Banktresore als Umkleidekabinen. Oben sind Büroräume der Co-Working Firma Industrious.

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