In New York gibt es seit den frühen 1990-er Jahren einen fast kontinuierlichen Immobilienboom mit immer neuen Rekordpreisen. Auch Harlem hat der Boom voll erfasst und dort Veränderungen bewirkt, die viele in den 1970er und 1980er Jahren noch für unmöglich gehalten hätten.
Harlem ist der bei weitem größte Stadtteil Manhattan’s und die Einwohner waren jahrzehntelang vorwiegend Afro-Amerikaner, denn kaum jemand anderes hatte Interesse in dem Viertel zu leben, das viele Menschen mit Armut, Drogen und Kriminalität assoziierten. Dies hat sich in den letzten Jahrzehnten stark geändert und viele Nicht-Schwarze zogen in dieser Zeit nach Harlem und der Anteil der Afro-Amerikaner sank.
Es gibt mehrere Gründe für den Zustrom neuer demografischer Gruppen nach Harlem, einer ist der Rückgang der Kriminalität. Wie der Rest New Yorks wurde auch Harlem sicherer und viele Menschen, die sich früher Sorgen gemacht hätten, wagten den Schritt nach Harlem. Auch ist der Wohnraum hier trotz der stark gestiegenen Preise immer noch günstiger als in allen Viertel in Manhattan, die südlich von Harlem liegen. Unterm Strich bekommt man hier also mehr Platz für sein Geld, was weitere Interessenten anzieht.
Das Straßenbild in Harlem hat sich gewaltig geändert, besonders gut sieht man das auf der 125th Street, der Einkaufsmeile des Viertels. Bis in die 1990er Jahre hinein hätte man hier weder eine Bank, noch Filialen der großen Einzelhändlern, die man sonst überall in den USA findet, gesehen – Big Business wollte mit Harlem nichts zu tun haben. Nun gibt es auf der 125th Street Ableger des edlen (und teuren) Biosupermarktkette ‘Whole Foods’ gleich mehrere Starbucks, wo man für einen ‘Caramel Macchiato’ schon gut 5 Dollar zahlt und auch die meisten großen Einzelhandelsketten sind nun hier vertreten, sei es H+M, Victoria’s Secret, The Gap oder Old Navy.
Princess Jenkins, die vor 20 Jahren ihre kleine Boutique ‘The Brownstone’ auf der 125th Street eröffnete, sagte in einem Interview mit dem TV Sender NY 1: “Es kommt immer mehr Big Business nach Harlem, aber wir wollen, dass es auch noch auch Platz für kleine Shops gibt. Läden, die noch Charakter und ein ‘Harlem-Feeling’ haben, verschwinden leider immer mehr. Hier am Block gab es bis vor ein paar Jahren einen kleinen Shop mit Kunstimporten aus Westafrika und eine winzige Donut-Bäckerei. Dieses Harlem, wo man noch viele Leute um einen herum kannte, vermisse ich. Natürlich hat es auch gute Seiten, wie den stark gestiegenen Fußgängerverkehr mit vielen internationalen Besuchern, der Vorteile für mein Geschäft hat.”
Wie vollzog sich der Bevölkerungswandel in den vergangenen Jahren? Wurden die Leute einfach vertrieben?
In New York gibt es einen sehr guten Mieterschutz, und es ist es oft ganz schwierig bis unmöglich ist, Leute legal aus ihrer Wohnung zu werfen oder die Miete sehr stark zu erhöhen. Mieterhöhungen – auch drastische – sind aber oft leichter, wenn der Mieter einmal wechselt. Manchmal helfen Hausbesitzer mit ‘Entmietungsmassnahmen’ nach. Dazu gehören mangelnde Instandhaltung oder Einreichung irgendwelcher unbegründeten Gerichtsklagen, um die Mieter so mürbe zu machen. Häufiger machen sich die Vermieter aber den ‘natürlichen Schwund’ an alten Mietern zunutze. Wenn früher ein Mitglied der angestammten afroamerikanischen, oft sozialschwachen Bevölkerung wegzog oder starb, wurde die Wohnung an jemand mit ähnlichem Hintergrund vermietet, denn andere Interessenten gab es praktisch nicht. Heute geht solch ein Apartment an Weiße, Hispanier oder jemand aus den oberen Schichten der schwarzen Bevölkerung, von denen viele Harlem auch wieder für sich entdeckt haben. Allein die stetige Wiederholung dieses Szenarios führt schon über längeren Zeitraum hinweg zu spürbaren demografischen Veränderungen. Alle Neubauten sind von vornherein teuer, und nennen sich oft ‘Luxury Apartments’. Die Durchschnittsmiete bei neuen Mietverträgen in Harlem stieg in den letzten Jahren rasant. Ein Studio (praktisch eine Einraumwohnung) kostet einem Bericht der Immobilienfirma MNS vom Mai 2019 jetzt knapp 2.400 Dollar. Trotzdem sind die Mieten und Immobilienpreise in Harlem aber eben immer noch ein Stück billiger als in anderen Teilen Manhattan’s, weshalb der Zuzug ununterbrochen weitergeht.
Harlem ist auch einer der wenigen Teile Manhattans, wo noch im relativ großen Stil gebaut werden kann, denn im Vergleich zum Rest der Insel gab es hier enorm hohe Leerstände und verwahrloste, unbewohnte Objekte. Sie stammten aus den drogen- und kriminalitätsgeplagten 1960er, 1970er und 1980er Jahren als viele Leute, die es sich irgendwie leisten konnten, den Stadtteil verließen. Einige Häuser waren auch niedergebrannt, oft von Eigentümern, die ihren Besitz durch Versicherungsbetrug liquidieren wollten. 70% der Häuser in Harlem fielen in den 1970er Jahren so der Stadt zu. In den Boomjahren wurden diese Ruinen zu wertvollem Bauland. Teuer sind auch die alten „Brownstones“, die für New York typischen Stadthäuser aus braunem Sandstein. Die begehrten Gebäude werden heute wieder mit viel Liebe renoviert und kosten eine unvorstellbare Summen von 1.5 und 4 Millionen Dollar.
Die Lage von Harlem war schon immer gut. Man ist in 20 Minuten in Midtown, dem Zentrum von Manhattan und in 20 Minuten am LaGuardia Flughafen. Früher waren diese Vorteile vom Umfeld überschattet, heute können Immobilienanbieter sie voll ausspielen.
Die Gefühle der angestammten schwarzen Einwohner hinsichtlich dieser Veränderungen sind gemischt. Der pensionierte Beamte Arthur Brown, 62, der ein Stadthaus in Harlem besitzt, begrüßt die demografische Entwicklung: „Ich denke, es ist großartig, jetzt so viele unterschiedliche Menschen hier zu haben. Außerdem ist es für die Immobilienwerte hier wichtig. Mein Haus ist heute mehr als zehnmal so viel wert als 1985, als sich alles im Niedergang befand und die Menschen Angst hatten, überhaupt nach Harlem zu kommen. Ich glaube, Harlem ist heute ein besserer Platz als früher – und das genau wegen der Integration.“
Andere sind weniger enthusiastisch, was das ‘neue Harlem’ angeht. “Harlem ist die Wiege der schwarzen Kultur in Amerika. Literarische Giganten wie James Baldwin oder Langston Hughes lebten hier. Die Großen des Jazz, Count Basie, Dizzy Gillespie und so viele andere kamen nach Harlem. Jeder mit Rang und Namen in Soulmusic trat im Apollo Theatre auf der 125th Street auf, Stevie Wonder, Michael Jackson, James Brown, ich könnte noch so viele Namen aufzählen. Heute ist es schon schwierig unser Soul Food hier zu bekommen”, so Joe Albertson, ein Professor für ‘African American History’. (Unter Soul Food versteht man hausgemachte Gerichte aus dem Süden der USA, dem Teil Amerika’s mit der längsten schwarzen Geschichte, die zu Zeiten der Sklaverei begann. Harlem ist eigentlich bekannt für diese Küche, aber viele Restaurants haben wegen steigender Mieten und Mangel an Kunden unter den Neuankömmlingen zugemacht. Hier ein Link. Es wurden zwar in den letzten Jahren erheblich weniger, aber zum Glück gibt es immer noch einige Restaurants in Harlem, die diese Küche servieren.)
„Harlem war ein Viertel für Afro-Amerikaner, jetzt können es sich viele von uns nicht mehr leisten und es kommen kaum andere Schwarze nach. Ich habe schon viele Leute gehen sehen. Da gab es diesen alten Gentleman, Bobby Robinson, der hatte hier auf der 125th Street sein eigenes Geschäft, einen kleinen Plattenladen. Vor fünf Jahren musste er raus, weil sein Vermieter einen Deal mit einer Ladenkette abgeschlossen hatte“, sagt Rosa Washington, 38, eine Lehrerin in einer der öffentlichen Schulen von New York City, die schon ihr ganzes Leben in Harlem wohnt. „Die Alten sterben weg, andere Schwarze verlassen Harlem und viel unserer Identität geht verloren. Es wird auch viel Geld mit dem Harlem Image und dem weltweiten Interesse an unserem Stadtteil verdient. Angeblich soll das gut für die Wirtschaft hier sein. Ich merke bei mir davon nichts. Auch die ganzen neuen Läden und Restaurants bringen mir nichts. Manchmal denke ich, dass unsere eigenen Politiker uns verraten und verkauft haben. Angeblich, um Geld und Jobs hierher zu bringen, wovon wir Alteingesessenen aber wenig merken. Ich glaube viel Geld wanderte in die Taschen der Politiker, die das alles hier erlaubt haben.”
Es gibt auch Konflikte zwischen Neuankömmlingen und alteingesessenen „Harlemites“, wie Bewohner des Stadtteils heißen. Am nördlichen Ende des Central Park nervt das traditionelle stundenlange Trommeln im afrikanischen Stil an warmen Wochenenden die Bewohner eines neu errichteten Luxusapartmentgebäudes. In einer anderen Ecke zieht ein geplanter Liquor Store (Laden, der Wein und hochprozentigere Alkoholika verkaufen darf) den Unmut neuerer betuchter Bewohner auf sich. Der Unternehmer hat nämlich vor, seinen Laden im Stil des „alten Harlems“ zu bauen, das heißt der Verkäufer steht hinter schusssicherem Plexiglas, in dem sich eine Öffnung befindet, durch die hindurch Geld und Waren gereicht werden, dazu Stahlrollläden, grelle Werbeschilder und ein Sortiment, das auch den allerbilligsten Fusel enthält. Vielen wäre eine hübsche Weinboutique lieber.
Wieder andere wissen nicht, was sie von den Entwicklungen halten sollen. „Ob das alles gut ist oder nicht, weiß ich nicht. Vielleicht kann ich Ihnen das in zehn Jahren beantworten“, sagt Taxifahrer Leroy Wilson, der seit 27 Jahren in Harlem wohnt. „Von hier kamen der erste schwarze Bürgermeister und der erste schwarze Gouverneur. Ob wir noch Gewicht haben, wenn wir nur noch eine Gruppe unter mehreren sind, weiß ich nicht.”
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