Heute ist der Times Square als glitzernde Touristenattraktion bekannt. Aber in den 1970er und 1980er Jahren hatte die Gegend den Ruf eines heruntergekommenen Rotlichtviertels, voll mit Prostituierten, Peepshows und Pornoläden. In dieser Zeit wurde der Times Square auch zum Jagdrevier für einen der berüchtigtsten New Yorker Serienkiller. Der Tatort und der Umstand, dass er einige Opfer ohne Hände oder Köpfe zurückließ, brachte dem Täter in den Boulevardzeitungen die Namen “Torso Killer” und “Times Square Ripper” ein.
Das erste Mal erschien der Mann am 2. Dezember 1979 auf dem Radar der New Yorker Behörden, als die Feuerwehr zum Travel Inn Hotel am Times Square gerufen wurden, weil es aus einem der Zimmer rauchte.
Dort fanden die Feuerwehrleute zwei verbrannte Frauenleichen, Köpfe und Hände abgetrennt. Eine der Toten war die 22-jährige Sexarbeiterin Deedeh Goodarzi. Das Alter des zweiten Opfers wurde auf circa 16 Jahre geschätzt, aber sie konnte bis heute nicht identifiziert werden.
Die verblüffte Polizei hatte erst einmal wenig, mit dem sie arbeiten konnten. Der Mörder hatte sich im Travel Inn mit falschem Namen und Adresse registriert – Carl Wilson aus Merlin, New Jersey. Die Angestellten sahen ihn nur kurz und konnten ihn nur als Weißen um die 30 beschreiben, vielleicht 1,80 Meter groß und weder dick noch dünn.
„Wir wissen nicht, ob der Täter der Mann ist, der das Zimmer gemietet hat“, sagte Detective Richard Nicastro damals den Medien. „Wir schließen die Möglichkeit nicht aus, dass zwei Männer beteiligt gewesen sein könnten.“
Fünf Monate später, am 5. Mai 1980, fand ein Zimmermädchen in einem anderen Quality Inn in New Jersey die Leiche der 19-jährigen Valerie Ann Street, die unter das Bett gestopft war. Street, eine Sexarbeiterin, die nur wenige Tage zuvor aus Florida angereist war, war geschlagen, gebissen, gefesselt und zu Tode gewürgt worden.
Nur zehn Tage danach entdeckten Feuerwehrleute die Leiche der 25-jährigen Jean Reyner, die als Prostituierte arbeitete, im Seville Motel am Times Square. Ihr Mörder hatte ihr die Kehle durchgeschnitten, Bissspuren an ihrem Körper hinterlassen und ihre Brüste abgetrennt.
Der Torso Killer schien seine Taten in immer kürzeren Abständen zu verüben, ein Grund für große Sorge. Nur eine Woche später kam dann aber die Gelegenheit, auf die alle gehofft hatten. Im gleichen Quality Inn, in dem sich die erste bekannte Tat am 2. Dezember ereignete, hörten Angestellte und Gäste eine Frau nach Hilfe schreien. Die schnell eingetroffene Polizei konnte der Sexarbeiterin Leslie Ann O’Dell das Leben retten und den 33-jährigen Richard Cottingham festnehmen.
Das New York Police Department (NYPD) trug schnell alle Informationen über Cottingham, denen sie habhaft werden konnten, zusammen. Der Mann wurde am 25. November 1946 in der Bronx geboren und führte anscheinend ein äußerlich normales Leben, hauptsächlich in Bergen County, New Jersey, eine halbe Stunde westlich von Manhattan. 1970 heiratete er und hatte drei Kinder. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung lebte er mit seiner Familie in New Jersey und pendelte nach Manhattan, wo er Computer bei der Blue Cross Blue Shield Association, einer Krankenkasse, bediente.
Trotz der bürgerlichen Fassade gab es Anzeichen dafür, dass Cottingham ein Doppelleben führte. Er hatte eine Wohnung in Manhattan, die er, wie er seiner Frau Janet sagte, brauchte, wenn er dort bis spät nachts arbeiten würde. Zuhause in New Jersey verbrachte der Mann übermäßig viel Zeit im Keller, wo seine Frau später Damenkleidung, Schuhe und Schmuck fand. Cottingham hatte auch eine selbst beschriebene Obsession mit Sado-Maso Sex und mehrere Affären. Janet hatte 1979 die Scheidung eingereicht, sie aber im Folgejahr zurückgezogen.
Das Ausmaß und die Grausamkeit der Verbrechen schockierte die Menschen in der Region. Leslie Ann O’Dell, die ihre Begegnung mit dem Torso-Killer überlebt hatte, beschrieb vor Gericht, wie er sie folterte.
„Er sagte mir, ich solle ruhig sein, dass ich eine Hure sei und bestraft werden müsste“, sagte die Frau aus. „Er sagte, die anderen Mädchen haben es hingenommen und ich muss es auch hinnehmen. Das hat er immer wieder gesagt.“
Was trieb diesen verheirateten dreifachen Familienvater zum Töten? Cottingham beschrieb seine Motive Jahrzehnte später als „ein Spiel“ und als „hauptsächlich psychologisch“.
„Die Frauen mussten genau das machen, was ich wollte. Man ist fast wie ein Gott. Du hast die totale Kontrolle über das Schicksal eines anderen Menschen.“
Richard Cottingham wurde in verschiedenen Prozessen zu gesamt 300 Jahren Gefängnis verurteilt. Bei einem der Verhandlungen kam heraus, dass er eine weitere Frau getötet hatte, und zwar schon 1977. Der Tatort war das gleiche Quality Inn am Times Square, in dem Cottingham noch zwei andere grausame Verbrechen verüben sollte. Das Opfer war die 28-jährige Maryanne Carr. Die Polizei bezeichnete die junge Frau als ‘Röntgentechnikerin”. Wie die Verbindung mit Cottingham zustande kam, ist unklar.
Aber es gab mehr! Die Arbeit des hartnäckigen Detektivs Robert Anzilotti aus Bergen County in New Jersey, wo Cottingham lebte, ergab, dass der Mann schon viel früher und außerhalb New Yorks mit den Morden begann.
„Ich hatte mehrere alte ungelöste Mordfälle auf meinem Schreibtisch und dachte, er könnte für einige verantwortlich sein“, erzählte Anzilotti später. “Die Methoden und Art von Opfern waren zwar anders als bei den Taten in New York, aber das Timing passte und bei meinen Ermittlungen gab es immer wieder Faktoren, die auf ihn deuteten.”
Der Detektiv fing an, Zeit mit dem inhaftierten Times Square Killer zu verbringen. Zuerst war Cottingham verschlossen, aber nach und nach fand er Gefallen an der Aufmerksamkeit und die beiden aßen bei den Besuchen Pizza und spielten Karten und Cottingham fing langsam damit an, Details früherer Verbrechen, bei denen es nie genug Beweise für eine Anklage gab, preiszugeben.
Letztendlich gab Cottingham zu, 1967 die 29-jährige Nancy Vogel getötet zu haben, 1968 die 13-jährige Jackie Harp, 1969 die 18-jährige Irene Blase und die 15-jährige Denise Falasca.
Er gestand auch zwei Morde, die schon seinen späteren Taten in New York ähnelten. 1974 nahm er zwei Anhalterinnen, die 17-jährige Mary Ann Pryor und die 16-jährige Lorraine Kelly mit. Er brachte sie in ein Hotelzimmer, wo er sie folterte und tötete. Danach warf er ihre nackten Leichen in ein Waldstück.
Anzilotti, der mittlerweile im Ruhestand ist, glaubt, dass Richard Cottingham für „Dutzende“ anderer ungelöster Fälle verantwortlich sein könnte. Bis heute behauptet der Torso-Killer selbst, dass er bis zu 100 Frauen getötet haben könnte.
Im Jahr 2022 wurde Cottingham an seinem Krankenhausbett für den Mord an Diane Cusick im Jahr 1968 in Long Island angeklagt. Einer der ältesten Kriminalfälle in den USA, der durch DNA-Beweise gelöst wurde. Cottingham bekannte sich schuldig und gestand auch, zwischen 1972 und 1973 vier weitere Frauen auf Long Island getötet zu haben: Mary Beth Heinz, Laverne Moye, Sheila Heiman und Maria Emerita Rosado Nieves.
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