‘Tribeca’ ist Beispiel eines neuen Namens für ein altes Viertel- Foto Evan Sung
Wie kann man im dicht besiedelten New York neue Stadtteile mit coolen Namen und trendigem Image schaffen? Man benennt einfach alte Viertel um.
Es begann mit SoHo. Eine Gegend, die heute eine der begehrtesten und schicksten in ganz New York ist, war in den frühen 1960er Jahren ein mehr oder weniger aufgegebenes Industrieviertel mit vielen leerstehenden Lagerräumen, Fabriketagen und anderen Gewerberäumen. Es hatte damals auch keinen eigenen Namen, sondern war einfach Teil des südlichen Manhattans.
Nach und nach entdeckten Künstler die Gegend für sich. Weil die Räume groß und die Fenster hoch waren, gab es viel Licht, und vor allem waren die Mieten billig, denn niemand wollte hier wohnen. Nach den Künstlern kamen die Galerien, dann die schicken Leuten, die die Nähe zur Kunstszene suchten.
Über die Jahre wurde die Gegend so immer attraktiver und begehrter, und die Immobilienmakler wollten einen Namen, um das neue/alte Viertel zu vermarkten. SoHo wurde aus der Taufe gehoben. Logisch kann es damit begründet werden, dass SoHo südlich der Houston Street liegt, also „South of Houston“. Besonders einprägsam ist der Name, da eines der bekanntesten Viertel Londons ja Soho heißt, und die meisten der schicken potenziellen Käufer oder Mieter mit der englischen Hauptstadt vertraut waren.
1968 wurde das Viertel offiziell umbenannt. Ohne diese Entwicklung wären wohl die damaligen Pläne der Stadt verwirklicht worden, die vorsahen, mitten hier durch eine achtspurige Autobahn zu bauen. Eine Zäsur, von der sich das kleine Viertel wohl nicht mehr erholt hätte.
Der Erfolg SoHos führte zu neuen Akronymen für alte Viertel. In den 70er Jahren folgte Dumbo, ein Teil Brooklyns in Manhattannähe, gleich am East River. Die Abkürzung bedeutet “Down under the Manhattan Bridge Overpass“. Dann wurde das Dreieck unterhalb der Canal Street – „Triangle below Canal Street“ – zu Tribeca geadelt. In den letzten Jahren kamen unter anderem FiDi („Financial District“) und NoLIta bzw. Nolita („North of Little Italy“) dazu.
Für viele überraschend ist, wie klein diese „neuen“ Neighborhoods, wie Stadtviertel hier heißen, oft sind. „In Manhattan können ein paar Blocks schon ein eigener Stadtteil sein, wie zum Beispiel erst seit wenigen Jahren die paar Straßenzüge nördlich vom Madison Square Park. Die Gegend wurde ‚in’, als hippe Hotels wie das Ace aufmachten und alte Wohngebäude renoviert wurden, etwa das Whitman, wo das Penthouse für 25 Millionen Dollar verkauft wurde und inzwischen sicher mehr wert ist (auch Chelsea Clinton wohnt hier).
Bald eröffneten auch noch angesagte Restaurateure wie Danny Meyer und Mario Batali hier Läden, die Gegend entwickelt eine eigene Identität und die Immobilienszene verpasst ihr einen Namen. In diesem Fall NoMad, kurz für ‚North of Madison Square Park’“, sagt Lockhart Steele, Betreiber der Immobilienseite Curbed.com.
Oft sollen neue Namen ein Viertel von einer negativ besetzten Vergangenheit abgrenzen. Der begehrteste und teuerste Teil Harlems, der Süden, wird nun von der Immobilienbranche oft als SoHa („South Harlem“) bezeichnet, um ihn von anderen Teilen Harlems zu unterscheiden.
„Um sich durchzusetzen, muss hinter dem Namen auch Substanz sein, sonst wird er schnell vergessen“, sagt der Immobilienmakler Edward Gibbons. „Er muss originell und einprägsam sein und für etwas stehen. Nolita hat es geschafft, da es ein ganz bestimmtes Image von kleinen Boutiquen und Cafés in den Köpfen der Leute weckt. Die Bezeichnung LoHo (für den unteren Teil der Lower East Side) erinnerte hingegen zu stark an SoHo, und es wurde nicht klar, wie es sich abgrenzte. Der Name verschwand dann auch gleich wieder.“
Ein weiterer Grund dafür, dass so eine Umbenennung nicht immer funktioniert, ist der Widerstand der angestammten Einwohner, die oft gar nichts von neuen Bezeichnungen halten. So traf der Name SoBro, erfunden in den späten 80er Jahren, um die South Bronx – wie SoHo ein paar Jahrzehnte früher – als angehendes Künstlerviertel zu vermarkten, auf den Unwillen der Anwohner. Diese nannten ihre jeweiligen Viertel in der South Bronx weiterhin Port Morris oder Mott Haven. SoBro wurde auch keine Künstleroase, sondern blieb eine der ärmsten Gegenden in ganz Amerika.
Auch in Brooklyn halten die Alteingesessenen oft nicht viel von neuen Akronymen. Die Umbenennungsversuche von Prospect Heights zu ProHo kommentiert ein Anwohner auf der lokalen Seite Dailyheights.com: „Wir wollen mit diesen neuen Namen nicht ‚manhattanisiert’ werden. Der Name unseres Viertels ist Prospect Heights und bleibt es auch.“
Obwohl es kaum offizielle Umbenennungen gibt, machen sich viele New Yorker Sorgen, ihre Geschichte könne darüber verloren gehen. Der temperamentvolle Politiker und Brooklyner Lokalpatriot Marty Markowitz sagte im „Brooklyn Eagle“: „Wir haben in Brooklyn Namen, die bis in die Zeiten der Holländer und Engländer zurückreichen. Manche Namen sind noch älter. Zum Beispiel stammt ‚Canarsie’ aus der Sprache der Ureinwohner unserer Region, der Lenape-Indianer. Es ist ihr Wort für ‚Festung’. Wir wollen unsere alten geschichtsträchtigen Namen nicht durch modischen Unfug ersetzt haben. Das können die von mir aus in Manhattan machen.“
Es wird jedoch immer wieder versucht werden, neue Namen für bestehende Viertel zu etablieren. Wenn Sie also das nächste Mal vom neuesten „In“-Viertel in New York hören, könnte es sein, dass das einzig wirklich Neue daran der Name ist.