Nach tagelanger Stimmauszählung mit nervenaufreibend knappen Ergebnissen in mehreren entscheidenden Staaten wurde am Samstag um 11:25 Uhr bekannt, dass Joe Biden in Pennsylvania so weit vorne lag, dass ihm der Sieg dort nicht mehr zu nehmen war. Er hatte damit die Wahl zum 46. Präsidenten der USA gewonnen.
Innerhalb von Minuten hörte man Jubel auf den Straßen der Demokratenhochburg New York. Auto- und Radfahrer hupten und klingelten, Menschen schrien aus den Fenstern und viele strömten auf die großen Plätze der Stadt. Nach vier Jahren Trump und einem Jahr Wahlkampf spürte man vielerorts ein kollektives Aufatmen.
Wie bei anderen historischen Anlässen in der Geschichte der Stadt kamen viele Bürger an den Times Square. Die Menschen sangen, man hörte Sektkorken knallen (Alkoholverbot war an dem Tag egal), US-Fahnen wehten und überall sah man Biden/Harris T-Shirts, Schilder, Buttons und Anti-Trump Plakate. Die 87-jährigen Esther O’Neill, die das Ende des 2. Weltkriegs an genau der gleichen Stelle als kleines Mädchen feierte, sagte mir: „Ich bin so froh für meine Kinder und Enkel. Noch vier Jahre unter diesem bösartigen, narzisstischen Menschen hätten unser Land zerstört.”
Auch dass mit Kamala Harris zum ersten Mal eine Frau Vizepräsidentin ist, die wie so viele New Yorker einer Minderheit angehört, freute viele. „Es ist schön, dass wir eine schwarze Frau gewählt haben. Das ist eine Inspiration für meine beiden Töchter“, so Sharnel Tyson, eine 38-jährige Lehrerin.
Am Trump Tower, 800 oder 900 Meter vom Times Square entfernt, war es indessen ruhig. Die Polizei riegelte die Straßen um den Turm aber sicherheitshalber ab. Der Präsident hatte seinen Wohnsitz dort schon vor einem Jahr aufgegeben, privat ist er seitdem in Florida gemeldet.
Es war ein Tag der Freude für die meisten New Yorker, aber die Menschen waren sich auch der Probleme bewusst, die vor den USA liegen. Es war schon einmal kein überwältigender Wahlsieg, sondern ein denkbar knapper. Donald Trump bekam amerikaweit ein Prozent mehr Stimmen als vor vier Jahren. In New York stieg sein Stimmenanteil von 17% auf 26%. Es war also nicht jeder in der Stadt im Freudentaumel, wie es am Samstag oft den Anschein hatte.
Die politischen Gräben durch die Gesellschaft gehen tiefer denn je und auch bei Familien und im Freundeskreis entstanden durch Politik Risse. Viele Leute vermeiden Gespräche rund um das Thema, es sei denn man weiß sich unter Gleichgesinnten.
Trotz aller Herausforderungen sind der Optimismus und die Hoffnung, die Amerika und New York seit ihrem Bestehen mitprägten, auch heute noch vielerorts zu spüren. In den Worten Joe Bidens “It’s time to heal.”