Im Sommer 2021 kamen 7 oder 8 Firmen aus der ganzen Welt mit dem ziemlich genau gleichen Konzept auf den New Yorker Markt: Artikel des täglichen Gebrauchs innerhalb von 15 Minuten an Kunden in ihren Wohnungen zu liefern. Eine andere Gemeinsamkeit waren die gewaltigen, von Investoren bereitgestellten Geldsummen, die den Unternehmen ermöglichen sollten, sich schnell Marktanteile zu sichern. Zwei der Firmen waren aus Deutschland.
Da ist einmal JOKR. Der Mann hinter dieser Firma ist der deutsche Unternehmer Ralf Wenzel, Gründer des Lieferdienstes Foodpanda, den er an Delivery Hero verkaufte. Wenzel schaffte es, mindestens 170 Mio. Euro von Anlegern für JOKR einzusammeln.
Auch mit von der Partie in New York war das Berliner Unternehmen Gorillas, dass sich seit Beginn der Pandemie mehr als eine Milliarde Euros an Investorengeldern gesichert haben soll und sich bis kurzem als Start-Up sah, das bald 5 Mrd. Euro wert sein könnte.
In der Anfangsphase gab man sich bei allen Unternehmen verständlicherweise selbstbewusst und optimistisch. Typisch hierfür die Statements von JOKR. Ein Grund des erwarteten Erfolgs sagte die Mitbegründerin und COO Aspa Lekka damals der New Yorker Immobilienfachzeitung ‚The Real Deal‘ sei die „innovative Datenauswertung“, die nicht kurze Lieferzeiten ermögliche, sondern mit der man sogar das Verhalten der Käufer voraussehen könne. “Wir wissen, was sich morgens verkauft und was sich abends verkauft. Wir haben alles, um unsere Ziele zu erreichen: das Know-how, die richtige Finanzierung, das richtige Timing, die richtigen Märkte und vor allem großartige Leute“. Man wolle sehr schnell 100 leerstehende Ladenlokale in New York anmieten und in sogenannte ‘Mikro-Fulfillment-Centers‘ oder ‚Hubs‘ verwandeln.
Aus der Sicht der potenziellen Kunden unterschieden sich die Firmen nur wenig. An Marktanteil konnte man offensichtlich nur mit viel Werbung und vor allem großzügige Prämien kommen. Schon für das bloße Eröffnen eines Accounts gab es beispielsweise von Gorillas ohne Problme 20 USD an Gratisware. Bei den anderen Diensten war es ähnlich. Die Hoffnung war wohl, dass man so Konsumenten an Bord bekäme und sie dann in treue Kunden verwandeln würde. Sie blieb jedoch meist unerfüllt und das Wall Street Journal berichtete, wie viele New Yorker die die generösen Angebote der Lieferdienste nacheinander nutzten. Im Artikel sagt der begeisterte 23-jährige Hayoung Park: “Ich habe bisher 400 USD an kostenlosen Produkten bekommen und lange kein Geld mehr für Toilettenpapier, Papierhandtücher, Spülmittel oder Handseife mehr ausgegeben.”
Schnell mussten die Firmen erkennen, welche gewaltigen Probleme es für sie in New York gab. Da war erst einmal die Konkurrenz. Nicht nur stehen die ‘On Demand‘ Firmen, wie sich die Lieferdienste auch bezeichnen miteinander im Wettbewerb, sondern auch mit Unternehmen, die schon lange auf dem US-Markt etabliert sind. Bei den Angeboten von Door Dash, Uber Eats und vor allem Instacart gibt es einiges an Schnittmengen, mit denen der 15-Minuten-Lieferer. Zudem wird Amazon wird immer schneller und auch die großen Einzelhändler wie Walmart und CVS (Drogeriemärkte) liefern immer flotter.
Die größte Konkurrenz beim schnellen Kleineinkauf waren aber die unzähligen Delis oder Bodegas. Das sind kleine Läden, die mit ‘Spätis’ und Kiosken in Deutschland vergleichbar sind, aber mehr Sortiment haben. Sie werden praktisch nur von Einwanderern betrieben werden, die schon einmal 60 Stunden oder mehr im Laden stehen. Für viele New Yorker sind diese Shops Teil der Seele der Stadt. Neben dem reinen Einkauf haben die Läden auch eine emotionale Komponente. Kunden und Arbeiter kennen sich oft, wechseln gerne einmal ein paar Worte und die Stadt wird so ein Stück menschlicher. Im Gegensatz zu den anonymen Internetfirmen mit Millionen an Investmentgeldern auf dem Konto, haben die Delis und Bodegas viele Sympathien bei den New Yorkern, ein nicht zu unterschätzender Faktor, den auch Politiker für sich nutzen. “Wer zum Teufel braucht einen Apfel in 15 Minuten? Wenn ich etwas so dringend haben muss, gehe ich runter zum Deli”, sagte Gale Brewer, Borough President (Bezirksbürgermeisterin) vor einigen Monaten.
Eine Sorge ist auch die Sicherheit der Bürger, die in der Nähe eines Hubs leben. Es gibt Klagen, dass die E-Bikes der Dienste oft wild durch die Straßen und über die Bürgersteige rasen, um rechtzeitig beim Kunden anzukommen. Die Politik antwortet mit Bestrebungen, Werbung mit ‘Lieferung innerhalb von 15 Minuten‘ zu untersagen.
Bei Gorillas werden schon keine garantierten Zeiten mehr genannt. Sind dem Riesenaffen und seinen Konkurrenten aber nicht die Zähne gezogen, wenn sie keine garantierten Blitzlieferungen mehr anbieten können?
Interessant ist auch die rechtliche Frage. Was ist, wenn jemand durch einen E-Bike-Fahrer, der Zahnpasta und Cornflakes blitzschnell liefern muss und Verkehrsregeln bricht, schwer verletzt oder getötet wird? New York ist bekannt für seine findigen Anwälte, die bei der richtigen Klage auch gerne nur auf Beteiltigung an zugesprochenen Geldern arbeiten. Über solch einen Fall, bei dem die Gegenseite ein millionenschweres Unternehmen ist, würde sich sicher einer freuen.
Nicht nur gingen die 7 oder 8 Firmen mit dem selben Konzept in New York an den Start, sie konzentrierten sich auch gleich von Anfang an auf die gleichen Gegenden, vor allen das südliche Manhattan. Ein kleiner Teil New Yorks, aber eine Gegend, die bereits durch die unglaubliche Dichte an Menschen und Verkehr belastet ist und Einkaufsmöglichkeiten zuhauf bietet.
Ein weiteres großes Problem ist ‘Zoning‘, was in etwa Flächennutzungsvorschriften in Deutschland entspricht. Es dreht sich um die Frage “sind die Hubs Läden oder Lager?” Sie befinden sich meist in Gegenden, in denen der Betrieb von Lagern nicht erlaubt sind, was die Gegner der Dienste verstärkt ansprechen. Bei einigen der Firmen, darunter Gorillas, hat man sich deshalb seltsam verrenkt, und die Hubs wegen der Kontroverse zu Läden erklärt, die nun theoretisch für Shopper geöffnet sind. Aber da liegt schon das nächste Problem. Für Einzelhändler, gibt es nämlich wieder andere Auflagen und Regelungen, die die ‘Dark Stores’, wie sie mittlerweile genannt werden, nach Auffassung von Bezirksbürgermeisterin Brewer und vielen anderen nicht erfüllen. Brewer fordert Bürger auf, Verstöße an die 311 Hotline der Stadt zu melden. Umso mehr, umso besser. (Es kommen aber sowieso kaum Leute in diese wenig einladenden Zombieshops, was den On Demand Firmen vielleicht gar nicht so unrecht ist.)
Die Hubs werden vielerorts als Schandflecken angesehen, die New York Post erinnerten sie sogar an die Crackhäuser vergangener Jahrzehnte. Von außen sind sie meist komplett verdeckt, wenn man einen Blick erhaschen kann sieht man Räume in grellem Neonlicht und Stahlregalen bis zur Decke. Eine weitere Sorge ist die Sicherheit der Bürger, die in der Nähe eines solchen ‘Fulfillment Center’ wohnen. Es gibt Klagen, dass die E-Bikes der Dienste oft wild durch die Straßen und über die Bürgersteige rasen, um rechtzeitig beim Kunden anzukommen. Stadtrat Christopher Marte, der Viertel im südlichen Manhattan, dem Epizentrum der Branche, vertritt, will verbieten, dass mit Lieferung innerhalb eines bestimmten, sehr kurzen Zeitfensters geworben wird.
Es ist nicht zu erkennen, dass man sich vorher über Sachen wie Zoning, Konkurrenz/Bedarf und dem politischen und gesellschaflichen Gegenwind vorher ernsthafte Gedanken gemacht hat. Warum? Arroganz oder hatte man niemand mit echter Kenntnis des Umfelds in einer der komplexesten Städte der Welt im Team oder hat man den Kopf in den Sand gesteckt um den Investoren schnell vermelden zu können “Wir sind in New York?” … über den Rest machen wir uns später Sorgen.
Auf gewisse Weise sind die beschriebenen Schwierigkeiten vielleicht auch egal, denn die Dienste hatten nie viele Fans in der Bevölkerung.
Die Anzahl an Rädern, die man durch die Stadt düsen sah, war von Anfang an fast schon schockierend niedrig, wenn man sich vor Augen hält, was für riesige Geldmengen in die Hand genommen wurden und was an Werbung geschaltet wurde. Vielen Menschen waren die On Demand Dienste einfach unsymphatisch. Dieser Artikel auf W42NYC, einem Kiezblog für die West Side von Manhattan ist typisch, noch mehr die User Kommentare.
Die meisten der Start-Ups sind mittlerweile sang-und klanglos verschwunden, darunter auch JOKR. Statt „mehr als 100“ Hubs waren es am Ende 8 oder 9, bevor man sich nach Millionenverlusten aus New York verabschiedete. (Man richte den Blick jetzt nach Südamerika, ließ das Unternehmen wissen. Dort gäbe es ungestillten Bedarf nach den Diensten von JOKR).
Von den anfangs 7 oder 8 Firmen haben drei noch nicht zugemacht: Darunter Getir, die laut Business Insider momentan bis zu 60 Mio. USD im Monat verlieren könnten, und Gorillas. Sah man Gorilla Räder immer schon selten, fuhr mir in den letzten Wochen kein einziges über den Weg. Für die Recherche für diesen Artikel, stellte ich mich einmal für die berühmten 15 Minuten vor einen Hub an der 14th Street im südlichen Manhattan. Es kamen zwei Räder heraus, die andere Aktivität waren drei Angestellte, die versuchten Passanten dazu zu bewegen ein Account zu eröffnen, wofür es nach wie vor problemlos 20 USD gibt. Von den Expansionspläne in andere US-Metropolen wie Los Angeles und Chicago, die letztes Jahr verkündet wurden, ist nichts mehr zu hören.