Der deutsche Künstler Winold Reiss (1886-1953) war ein Multitalent. Er arbeite als Werbegrafiker, schuf beeindruckendes Dekor für Restaurants, porträtierte außergewöhnliche Persönlichkeiten, entwarf Möbel, produzierte gewaltige Wandgemälde und gründete eine Kunstschule.
Leider geriet Reiss in den Jahrzehnten nach seinem Tod in Vergessenheit, aber nun widmet die New York Historical Society ihm die Ausstellung “The Art of Winold Reiss: An Immigrant Modernist”.
Der in Karlsruhe geborene Reiss stammte aus einer Familie von Illustratoren und Lithografen. Er studierte Kunst in München und wanderte 1913 als 27-jähriger in die USA aus, wo er sich in New York niederließ. Europa war in dieser Zeit wegweisend in der Kunst und Reiss brachte viele neue Ideen in die USA mit, besonders die des Art Deco und auch seine Außenseiterperspektive gab seiner Arbeit Impulse.
1925 wurde ihm angeboten, eine Sonderausgabe der gesellschaftspolitischen Zeitschrift ‘Survey Graphic‘ mit dem Titel ‘Harlem: Mekka of the New Negro‘ zu illustrieren, die den schwarzen Schriftstellern und Denkern der ‚Harlem Rennaissance‘ gewidmet war. Für deutsche Einwanderer schien es als eine seltsame Wahl für dieses Projekt, und mehrere der Beteiligten sollen sich bei dem Gedanken erst einmal unwohl gefühlt haben, aber das Ergebnis waren feinfühlige und glaubwürdige Portraits. Die Darstellung des wegweisenden Schriftstellers Langston Hughes wurde für das Poster der Ausstellung gewählt.
Reiss war von den verschiedenen Arten von Menschen fasziniert, denen er in der Neuen Welt begegnete. So zeichnete er den berühmten japanisch-amerikanischen Bildhauer Isamu Noguchi und porträtierte mexikanische Revolutionäre. Besonders faszinierten ihn die amerikanischen Ureinwohner, 1920 besuchte er die Blackfeet Nation in Montana.
Viel Aufsehen erregten die gewaltigen Glasmosaike, die Reiss in den frühen 1930er Jahren für den neu eröffneten Bahnhof ‘Cincinnati Union Station‘ schuf. Sie zeigten Siedler und Menschen in Fabriken in Ohio, Teil des industriellen Herzens der USA, bei der Arbeit.
Ein weiteres Betätigungsfeld, in dem Reiss großen Erfolg hatte, war spannendes, Aufsehen erregendes Dekor feiner New Yorker Restaurants, oft im Art Deco Stil. Er entwarf oft alles von Wandgemälden bis hin zur Streichholzschachtel, heute würde man das wohl ’corporate identity‘ nennen.
Obwohl Reiss zu Lebzeiten bekannt und erfolgreich war, geriet er in den Jahrzehnten nach seinem Tod 1953 in Vergessenheit. Arbeiten landeten in private Sammlungen, Archiven und kleinere Museen, verstreut in allen Himmelsrichtungen. Die Auftragsarbeiten für die Restaurants verschwanden zusammen mit deren Schließung.
Die Glasmosaike, die Reiss für die Union Station in Cincinnati produzierte, haben glücklicherweise überlebt. Sie sind jetzt an drei Orten der Stadt zu sehen. Manche verblieben an der originalen Stelle in einem Teil des Bahnhofs, der zu einem Museum wurde, andere kamen sind in Flughafenterminals und einige sind an der Außenwand des großen Duke Energy Convention Center Kongresszentrums zu sehen.
Vielleicht geriet Reiss’ Bandbreite und der große Anteil kommerzieller Arbeiten ihm zum Nachteil, wenn es darum ging vom oft elitären Kunstbetrieb, als ernsthafter Künstler akzeptiert zu werden. Zurückblickend ist auch klar, dass viele seiner Werke ihrer Zeit voraus waren, vor allem in den USA.