22.000 Sympathisanten im Madison Square Garden, Nazi-Sommerlager und ein ‘Führer’ aus München – das war der Amerikadeutsche Volksbund

Parade des German American Bunds am 30. Oktober 1939 in New York auf der East 86th St. in Manhattan, im Germantown Viertel (Library of Congress).

Nach der Machtergreifung der Nazis in Deutschland wurden im Ausland lebende Menschen ‚deutscher Herkunft‘ von der NS-Regierung ermutigt, Bürgergruppen zu gründen, um “deutsche Tugenden” zu verbreiten und sich politisch für das Dritte Reich zu engagieren. In den USA wurde am 19. März 1936 eine der bekanntesten solcher Organisationen ins Leben gerufen, der ‚Amerikadeutsche Volksbund‘ (German American Bund) – eine “Vereinigung patriotischer Amerikaner deutscher Abstammung”.

Die Verwaltungsstruktur des Bundes imitierte die der NSDAP in Deutschland. Die USA wurden selbstbewusst in drei ‘Gaue‘ (Ost, West und Midwest) unterteilt, die wiederum aus 69 ‚Ortsgruppen‘ bestanden, 17 davon in Stadt und Staat New York. Das Hauptquartier befand sich auf der 85. Straße in Manhattan in einem Viertel, das wegen der vielen deutschen Einwanderer auch als Germantown bekannt war.

‘American Führer’ Fritz Kuhn, Mitte, wird am 4. September 1938 zur einstimmigen Wiederwahl gratuliert (Library of Congress)

Die Organisation sollte nach dem ‚Führerprinzip‘ geleitet werden. Auserkoren wurde der 40-jährige Münchner Chemiker Fritz Julius Kuhn, der während des Ersten Weltkriegs wie Adolf Hitler in der bayerischen Infanterie diente und stolz auf seinen Status als ‘Alter Kämpfer‘ (frühes Mitglied der NSDAP) war. Kuhn lebte seit 1928 in den USA und war seit 1934 amerikanischer Staatsbürger. 

Der Bund erreichte Mitgliederzahlen von bis zu 25.000. Das größte Ereignis in seiner Geschichte fand am 20. Februar 1939 statt, nur sechseinhalb Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. 22.000 Sympathisanten kamen für eine vom Bund organisierten Kundgebung in den Madison Square Garden, auf der der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland begeistert gefeiert wurde. Um sich auch als gute amerikanische Patrioten zu zeigen, nannte man die Veranstaltung ‘Pro American Rally’ und beging zugleich den Geburtstag von George Washington, den man aus irgendwelchen Gründen als einen Seelenverwandten empfand.

Die Teilnehmer gaben Hitlergrüße in Richtung eines 10 Meter hohen Porträts von Washington. Darum herum waren Fahnen mit den amerikanischen Nationalfarben und Hakenkreuzen. Mit dabei waren 3.000 Mann des ‘Ordnungsdienst’ (OD), der zum großen Teil aus jungen Bundmitgliedern bestand, die sich im SS-Stil kleideten. Banner auf der Veranstaltung hatten Botschaften wie “Stop Jewish Infection of Christian Americans” und “Wake Up America. Smash Jewish Communism”.

Die Kundgebung im Madison Square Garden – zwischen den amerikanischen Fahnen sieht man Hakenkreuzflaggen (Library of Congress)

Kuhn gab eine umjubelte Abschlussrede. “Wir fordern die amerikanischen Ideale von der Regierung ein”, ließ er das begeisterte Publikum wissen. „Wir wollen mehr soziale Gerechtigkeit und ein von weißen Nicht-Juden regiertes Amerika mit Gewerkschaften, die von Nicht-Juden kontrolliert werden und frei vom Einfluss aus Moskau sind.” US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt bezeichnete Kuhn als „Rosenfield“, aus dem New Yorker Bezirksstaatsanwalt Thomas Dewey wurde „Thomas Jewey“.

Gegendemonstranten vor dem Madison Square Garden (Library of Congress)

Zum Zeitpunkt der Kundgebung baute Hitler schon sein sechstes Konzentrationslager. Demonstranten vor dem Madison Square Garden – viele von ihnen jüdische Amerikaner – sorgten sich, dass das, was in Deutschland geschah, auch in den USA möglich sei und demonstrierten vor der Halle. Sie trugen Schilder mit Texten wie “Smash Antisemitism” und “Gib mir eine Gasmaske, ich kann den Geruch von Nazis nicht ertragen” oder “Warten Sie nicht auf die Konzentrationslager – Jetzt handeln!”

Neben der politischen Arbeit sollte auch ‚Kraft durch Freude‘ beim Bund nicht zu kurz kommen. Die Organisation betrieb Sommerlager für Jugendliche und ihre Familien. Zwei große Camps im Raum New York waren ‚Camp Siegfried‘ und ‘Camp Nordland‘.

Fahnenzeremonie zur Abenddämmerung im ‘Camp Nordland’ – Sommer 1937 – Library of Congress

Adolf Hitler wollte mit dem Bund und Kuhn nie viel zu tun haben. Seine Strategie war es lange, die mächtigen Amerikaner möglichst aus dem Geschehen in Europa herauszuhalten. Provokationen vom Bund und von Kuhn in den USA sah er als hinderlich. Als der selbst ernannte ‘American Führer’ 1936 während der Olympiade nach Berlin kam, gab es nur eine sehr kurze, unpersönliche, für Kuhn enttäuschende Begegnung mit seinem Idol. Kuhn war für Hitler nicht viel mehr als einer von hunderten Menschen, die er in diesen Wochen traf. Wie mit vielen anderen ließ er sich auch mit Kuhn fotografieren. Hitler bezeichnete dies später als Fehler. Kuhn vermeldete nach seiner Rückkehr in die USA jedoch wie herzlich und interessiert der ‘Führer’ ihn empfangen habe, mit dem Foto als Beweis.

Fritz Kuhn trifft Adolf Hitler während der Olympiade 1936 in Berlin

1941, zwei Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, musste der Bund aufgrund der politischen Lage seine Aktivitäten komplett einstellen. ‘American Führer’ Kuhn saß schon seit Dezember 1939 wegen Unterschlagung von Bundgeldern im Gefängnis. 1943 wurde ihm die amerikanische Staatsbürgerschaft aberkannt, und nach dem Krieg wies man ihn aus. Kuhn starb, nachdem er auch einige Jahre in deutschen Gefängnissen zugebracht hatte, 1951 vergessen und mittellos in seiner Geburtsstadt München. Als er drei Jahre zuvor dem Münchner Polizeipräsidenten Franz Xaver Pitzer vorgeführt wurde, sagte Kuhn ihm: „Wer hätte denn ahnen können, dass das alles so enden würde.“

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