Zweiteiliger Artikel zur New Yorker U-Bahn. Nächste Woche betrachten wir die gewaltigen Herausforderungen, denen sich das System gegenübersieht und die sich seit Ausbruch der Pandemie noch vergrößert habe.
Nichts ist typischer für New York als eine U-Bahn-Fahrt. Alle Arten von Menschen fahren mit der Subway, wie sie hier heißt, weil es meist die schnellste und – abgesehen vom Gehen – die billigste Fortbewegungsmöglichkeit ist. Vom Wall-Street-Spitzenverdiener bis zum Sozialhilfeempfänger, vom Latino-Teenager bis zur alten Dame, die in die Oper will, sieht man in der Bahn einen Querschnitt der New Yorker Gesellschaft.
Die Geschichte der Subway geht bis ins späte 19. Jahrhundert zurück. In den 1890-er Jahren wurde erstmals der Plan geschmiedet, ein Transportsystem im Untergrund unter Nutzung der damals neuen Elektromotoren zu errichten. 1904 wurde die erste Strecke eröffnet. Bis in die 1940-er Jahre wurde mit Hochdruck weitergebaut.
Finanziert wurde der U-Bahn-Bau durch öffentliche Mittel, aber betrieben wurde sie in den ersten Jahrzehnten von verschiedenen privaten Firmen, denen jeweils bestimmte Linien gehörten. Bis 1951 hatte die Stadt New York sie alle aufgekauft. Dass es einmal unterschiedliche Systeme waren, ist der Grund für die heute etwas seltsame anmutende Kennzeichnung der Linien, die scheinbar ohne sichtbare Logik, manchmal durch Buchstaben und manchmal durch Nummern erfolgt.
Die Bahn machte es möglich, dass Leute aus dem Zentrum in die Randgebiete und Vororte ziehen konnten, wo es billiger und die Lebensqualität vor allem durch mehr Platz oft besser war. So konnte die Metropole entstehen, wie wir sie heute kennen. Eine wichtige Rolle spielte hierbei der Pauschaltarif, der auch heute noch gilt und bei dem es egal ist, ob man nur drei Stationen oder durch die ganze Stadt fährt. Die Transportkosten waren nicht höher, wenn man in einem der Außenbezirke wohnte, wie zum Beispiel Astoria in Queens (Foto unten) und zum Arbeiten nach Manhattan pendelte.
Die U-Bahn fährt 24 Stunden am Tag durch, ein wichtiger Faktor fürs Wirtschaftsleben der nie ruhenden Stadt. (Im Moment liegt die Subway von 2 bis 4 Uhr still, damit die Waggons desinfiziert werden können). Die Bahn kommt tagsüber so alle 3 bis 7 Minuten, am Abend etwas weniger häufig, aber selbst mitten in der Nacht (vor COVID) noch alle 20 Minuten.
Es gibt über 471 Stationen und circa 1.070 Kilometer an Gleisen, 300 km mehr, wenn man Strecken mitzählt, die für andere Zwecke als den Transport von Passagieren genutzt werden. (Am 29. August 2017 schaffte Matthew Ahn, ein 25-jähriger Anwalt, es in 21 Stunden, 28 Minuten und 14 Sekunden alle Stopps abzufahren – immer noch der Weltrekord.) In vielen Stationen findet man Musiker. Um eine der begehrten offiziellen Genehmigungen zu ergattern, muss man von einer Jury ausgewählt werden. An Bahnhöfen gibt es oft auch interessante Kunst.
Mit Ausnahme der großen Stationen sind die meisten Bahnhöfe nicht sehr tief angelegt, vor allem weil man sie schnell bauen wollte, sodass die Subway zu weiten Teilen fast schon direkt unter der Straße fährt. (In der Nähe der Lüftungsgitter kann man sie oft rumpeln hören und versteht manchmal sogar die Stationsansagen). In den zentrumsferneren Gegenden, die weniger dicht besiedelt sind als Manhattan, verläuft die Bahn vorwiegend oberirdisch – vor allem weil man die enormen Kosten und Zeitaufwand des Tunnelbaus vermeiden wollte. Rund 40 Prozent der New Yorker U-Bahn ist so eigentlich gar keine Untergrundbahn.
Im letztem vollen Jahr vor Corona, 2019, wurden um die 1,8 Milliarden Fahrten getätigt. Das meiste war an diesen Stationen los: Times Square (64 Millionen Passagiere), Grand Central Station (44 M), Herald Square (38M) und Union Square (35M).
Betrieben wird die U-Bahn von ‚New York City Transit‘, die Teil der Metropolitan Transit Authority (MTA), einer öffentlichen, aber von der Stadt unabhängigen Organisation, ist. Die NYCT beschäftigt 34.000 Arbeiter und hat ein jährliches Budget von 7 Milliarden Dollar. Darin enthalten sind zwar auch die Kosten für die Stadtbusse, die die NYCT ebenfalls betreibt, aber den Löwenanteil verschlingt die Subway.
Die U-Bahnhöfe machen einen alten, leicht kaputten Eindruck. Der Betrieb des Systems ist ein ständiger Kampf gegen den Verfall. So müssen täglich durchschnittlich 50 Millionen Liter eindringendes Wasser aus dem U-Bahn-System in die Kanalisation abgepumpt werden. Unzählige Ratten hausen in den Tunnels, wo viel Essbares zu finden ist. Allein in den letzten zwei Jahrzehnten wurden 26 Milliarden Dollar für Reparaturen und Instandhaltung ausgegeben. Sogar Verschönerungsarbeiten werden nach und nach durchgeführt, aber die Funktionalität steht an erster Stelle. (Mehr zu den Problemen der Subway kommende Woche im zweiten Teil dieses Artikels).
Oft denken Menschen, die sie noch nie erlebt haben, dass die Subway gefährlich wäre. Tatsächlich wurde sie in den 70ern und Teilen der 80er Jahre – einer Zeit, zu der die Stadt insgesamt in schlechter Verfassung war – von vielen Leuten gemieden, da es einiges an Kriminalität gab. Die Filme „Death Wish“ („Ein Mann sieht rot“) und „The Warriors“ fangen diese Atmosphäre gut ein (auch wenn sie aus filmischen Zwecken natürlich übertreiben). Die U-Bahn ist heutzutage extrem sicher (bei geschätzten 15.000 Fahrten in bald 30 Jahren habe ich nicht einmal einen einzigen ernsten Zwischenfall erlebt). Auch schwere Unfälle sind höchst selten, den schlimmsten gab es 1918, als der Zugführer (eine Aushilfe, da die Festangestellten streikten) in einem Tunnel die Kontrolle über die Bahn verlor. 98 Menschen starben damals, 200 wurden verletzt. 1991 gab es einen Unfall mit 5 Toten.
Die meisten Zwischenfälle, bei denen Leute ernsthaft zu Schaden kommen, werden heutzutage durch auf die Gleise springende oder stürzende Personen verursacht. Viele von ihnen sind Selbstmörder, andere betrunken, manche wollen hinuntergefallene Handys oder Geldbeutel bergen. Es gibt immer wieder Fälle, bei denen Menschen bei Streitereien oder von Geistesgestörten aufs Gleis geschubst werden, und seit dem Ausbruch von COVID gab es einige mehr solcher Taten als sonst (warum ist unklar). Die Chance, dass einem das passiert, ist aber immer noch 1: mehreren Millionen, also keine Angst. Ein weiteres Problem ist ‚Subway Surfing‘. Jedes Jahr werden Jugendliche, die außerhalb der Waggons, manchmal sogar auf dem Dach eines Zugs, mitfahren schwer oder tödlich verletzt.
Bis in die Mitte der 1990er Jahre konnte man für die Bahn ausschließlich mit dem Token, einer eigenen Münze, die in einen Schlitz gesteckt wurde, bezahlen. Dann wurde die Metro Card, eine aufladbare Magnetkarte, eingeführt. Seit 2020 ist auch kontaktloses Bezahlen mit Kreditkarte möglich. Eine Einzelfahrt kostet 2,75 USD, eine Wochenkarte 33 USD und für Monatskarten werden 127 USD berechnet. Die Tickets gelten auch für die Stadtbusse.
Seit den 1940-er Jahren wurden überraschend wenig neue Stationen gebaut. Bis Dezember 2016, als der erste Teil der ‚Second Avenue Subway‘ (Foto unten) eröffnet wurde, kam keine einzige neue Strecke dazu. Hauptgrund sind die gewaltigen Kosten und Schwierigkeiten beim U-Bahn-Bau in New York.
Seit Jahren steht das New Yorker U-Bahn System vor gewaltigen Herausforderungen und Problemen, von denen sich einige über Jahrzehnte aufgetürmt haben und sich durch die Pandemie noch verschlimmert haben. Kommende Woche gibt es dazu einen eigenen Artikel bei uns.
2,1 Mio. U-Bahn-Fahrten an einem Tag – die meisten seit Coronaausbruch
Seit 1945 geschlossen, die Geschichte der Geister U-Bahn Station City Hall in Manhattan
Aussortierte U-Bahn Waggons, die zu Riffen für Unterwasserleben im Atlantik wurden