Jerry Cotton – New Yorker FBI Held ‘Made in Germany’ verkaufte bis zu einer Milliarde Groschenromane

Für Deutsche in der Nachkriegszeit war New York ein Mythos, so ganz anders als die eigene Welt. Sie dachten an eine Stadt voll mit dekadentem Reichtum, gewaltigen Ghettos, Mafia-Killern, Psychopathen, korrupten Politikern, verführerischen Frauen und was sonst noch alles so die Fantasie beflügelt.

In den frühen 1950er Jahren kam Delfried Kaufmann, ein 31-jähriger Hobbyautor, der in der Waschmittelabteilung bei Henkel in Düsseldorf arbeitete, auf die Idee, Krimis in New York, statt wie damals oft üblich auf den Landsitzen der hiesigen Reichen oder der High Society im nebeligen London, anzusiedeln.

Kaufmann erfand ‘G-Man Jerry Cotton‘, ein, so steht es im Klappentext der Heftchen, breitschultriger, gutaussehender FBI Agent, der sein Leben dem Kampf gegen das Verbrechen gewidmet hat. Das G steht übrigens für Government.

Im März 1954 erschien das erste Heft im Bastei Verlag. Kaufmann verlor schon bald die Lust an seiner Figur und Bastei heuerte andere Autoren an. Über die Jahrzehnte gab es mehr als 100 verschiedene Verfasser. Alle schrieben als ‘Jerry Cotton‘ in der Ich-Form. Die Autoren wurden nie genannt, und selbst die Identität von Delfried Kaufmann war bis 1998 unbekannt.

Der dienstälteste Verfasser ist Horst Friedrichs, der von 1967 bis 2018 mehr als 350 Jerry Cotton Romane schrieb. Die Syker Kreiszeitung berichtete vor ein paar Jahren von einem Leseabend, in dem Friedrichs einige interessante Einblicke aus seinem Leben als Jerry Cotton Autor preisgab. Ort des Geschehens war das Robberts Huus in Schwarme, 30 km südlich von Bremen – die Region, aus der Friedrichs stammt und den die Zeitung abdeckt.

“Mein Kontakt mit Bastei kam über eine Anzeige in der Fachzeitschrift ‚Der Journalist‘ zustande. Nachdem sie mich als Jerry Cotton Autor anheuerten, gaben sie mir ein Exposé mit den immer wieder vorkommenden Hauptpersonen und den Rat, ich möge mir einen Stadtplan von New York anschaffen.“

Nicht nur durch Ausflüge nach Amerika, auch durch intensive Recherchen zur New Yorker Polizei und dem FBI schaffte Friedrichs die Grundlagen für seine Version von Jerry Cotton. „Wichtig ist: Wer einen Krimi in New York ansiedelt, muss sich informieren über die Stadt, Verkehrstechnisches, die Bevölkerung, Wissen über die Rechtsprechung haben und die Strukturen des FBI kennen“, so Friedrichs.

1973 kam dann die erste Möglichkeit nach New York zu reisen. “Wir durften ein paar Mal auf Streife mitfahren, die 16 bis 24 Uhr Schicht. Damals ging so etwas noch. Bei der brenzligsten Situation, die wir miterleben konnten, flüchteten die Gesuchten über die Feuerleiter. Die Beamten entschuldigten sich, dass keine Kugeln geflogen waren. Danach besuchten wir das FBI Hauptquartier in Washington.“

In den 1960er Jahren konnten die Fans Jerry Cotton, verkörpert vom amerikanischen Schauspieler George Nader, auch in den Kinos erleben. Es waren deutsche Low Budget Produktionen. Die Filme waren nicht unbedingt auf James Bond Level, aber fanden durchaus Erfolg. Insgesamt wurden acht Streifen gedreht. Bei den Filmarbeiten musste Berlin für New York herhalten.

Dem Bastei Verlag zu Folge sollen mittlerweile zwischen 850 Millionen und einer Milliarde Jerry Cotton Romane verkauft worden sein, was ihn zur erfolgreichsten Krimifigur der Welt machen würde. Auch heute noch hat Cotton genug Leser, um ein wöchentliches Heft zu rechtfertigen. Gerade erschien Nummer 3.445, und auch ein E-Book gibt es alle 14 Tage.

Obwohl Bastei gerne davon spricht, dass Jerry Cotton in 40 Sprachen übersetzt wurde, waren die Romane außerhalb des deutschsprachigen Europas nur in Finnland wirklich erfolgreich. (Warum gerade da, ist eine interessante Frage.) In den USA kennen nur Leute, die früher bei der FBI Poststelle arbeiteten, den Verbrechensbekämpfer – denn hier kamen oft Briefe für einen Jerry Cotton an.

Zum Schluss ein kleiner Auszug aus einem Roman. Hier sieht man, dass Unterweltler bei einer Begegnung mit G-Man Jerry Cotton nichts zu lachen haben.

«Ich kam von links, aus der Finsternis, und schmetterte ihm zwei Dinger von der gleichen Güteklasse auf den Punkt, wie sie seinen Kumpel Eddy ins Traumland geschickt hatten. Mit der ersten Handkante entfernte ich die Beretta aus seiner Pranke, mit der zweiten faltete ich ihn über den Fenstersims zusammen.»

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