In der nebligen Nacht vom 12. zum 13. Juni 1942 näherte sich das von Kommandeur Hans Linder befehligte deutsche U-Boot 202 der Küste Long Islands nahe dem Städtchen Amagansett, 200 Kilometer östlich von New York. An Bord war ein Team von vier Deutschen – Richard Quirin, Heinrich Heinck, Peter Burger und Georg „George“ Dasch, der akzentfrei englisch sprechende Anführer. Mit sich führten sie drei Kisten hochexplosiven Materials, eine weitere mit Zeitzündern und Zündmaterial sowie 100.000 Dollar in bar, eine gewaltige Summe die laut Inflation Calculator heute die Kaufkraft von 3 Mio. USD hätte.
Sie waren fast 5.000 Kilometer über den Atlantik gekommen, um ein von den Nazis auf zwei Jahre angelegtes Spionage- und Sabotageprogramm auszuführen. In wenigen Minuten würden sie auftauchen in der Hoffnung, die erfolgreiche Durchführung ihres Auftrags zu beginnen.
Wenn alles nach Plan verliefe, würden sie in East Hampton an Land gehen, ihre Materialien im Sand verbuddeln, dann den ersten Zug nach New York nehmen und von dort aus später nach Chicago weiterreisen, um sich mit einem zweiten Team zu treffen. Sie sollten drei oder vier Monate lang unauffällig in den USA leben, und erst nachdem sie absolut sicher waren, nicht entdeckt worden zu sein, Sabotageakte beginnen. Doch gleich in der ersten Nacht begann der Plan schiefzugehen. Anstatt in East Hampton zu landen, erreichten sie die Küste zehn Kilometer weiter östlich. Das war noch das kleinste Problem, denn als die Möchtegernsaboteure Land gingen, lief ihnen nach kurzer Zeit ein junges Mitglied der Coast Guard, John Cullen über den Weg lief.
Unbewaffnet und allein an einer mit Nebel überzogenen Bucht, von acht Fremden umgeben, hoffte Cullen auf einen Ausweg. Dieser bot sich als Dasch glaubte ihn bestechen zu können. Er reichte Cullen ein ganzes Bündel frischer 50-Dollar-Noten, und der nahm es an. Dasch fragte ihn, ob er ihn je wiedererkennen würde, sollten sie einander noch einmal begegnen. „Nein, Sir. Ich habe Sie noch nie in meinem Leben gesehen“, antwortete Cullen. Dasch ließ ihn gehen.
Heinck und Burger glaubten der Versicherung von Dasch, dass er Cullen erfolgreich eingeschüchtert habe, nicht. Sie waren außer sich vor Angst. Zitternd vergruben sie ihr Gut, wechselten die Kleidung und machten sich auf den Weg zur Hauptstraße. Wenigstens gab es kein Anzeichen dafür, dass sie anderweitig entdeckt worden waren. Jetzt ging es darum, den Bahnhof zu finden. Erst einmal liefen sie östlich am Montauk Highway entlang. Nach etwa einer Meile merkten sie irgendwie, dass die Richtung falsch war. Noch dazu begann es zu dämmern und das Leben auf Long Island sich zu regen. Sicher würde man bald den ersten Menschen begegnen, die sich wundern würden, warum vier Männer am frühesten Morgen einen Highway entlanggingen. Die Angst stieg. Doch sie hatten das nötige Quäntchen Glück: Unvermittelt standen sie vor ihrem Ziel, dem Bahnhof von Amagansett, an dem sogar schon ein Zug stand.
Nach seiner Rückkehr zur Station erzählte Coast Guard Cullen seine seltsame Geschichte von ungewöhnlich gekleideten Fischern, die sich untereinander in einer fremden Sprache unterhalten hatten und denen er versprechen musste, sie niemals gesehen zu haben. Innerhalb weniger Minuten waren er und der Rest der Stationsbesatzung zurück an der Amagansett-Bucht auf der Suche nach Anhaltspunkten, die Aufschluss über die Identität der geheimnisvollen Gruppe geben könnten. Als der Morgen hereinbrach, entdeckten sie Spuren, dass schweres Frachtgut durch die Dünen würde. Bald fanden sie die von den Saboteuren versteckten Kisten samt der deutschen Militäruniformen.
Die Funde wurden auf einen Jeep verfrachtet und sofort zu einer speziellen Stelle der Küstenwache in Manhattans Battery Park geschafft, die sich mit solchen Fällen befasste. Um 10.30 Uhr wurden die Kisten geöffnet. Als man die deutschen Sprengmittel sah, wurden sofort alle irgendwie zuständigen Stellen in den ganzen USA alarmiert: Nazis waren am Strand von Long Island gelandet!
Welchen Auftrag hatten die Männer von der Führung in Deutschland? Die vorgesehenen Taten der vier waren Teil der größeren „Operation Pastorius“, benannt nach dem ersten bekannten deutschen Einwanderer nach Amerika. Wichtige industrielle Ziele in den USA, die kritisch waren für die Fähigkeit, Krieg zu führen, sollten sabotiert werden. Das erste von zwei Teams sollte in East Hampton an Land gehen, das zweite am Ponte Vedra Beach bei Jacksonville in Florida.
Unabhängig voneinander arbeitend sollten sie Aluminiumfabriken in Tennessee, New York, Illinois und Pennsylvania angreifen. Außerdem sollten einige strategisch wichtige Zugverbindungen, Bahnhöfe, Brücken und Tunnels lahmgelegt oder blockiert werden. Auf diese Weise sollte den USA die Kriegsführung erschwert werden.
Organisiert worden war das Ganze vor Ort von einem langjährigen Mitglied der NSDAP, Leutnant Walter Kappe. Kappe wurde mit nur 17 Jahren eines der ersten Mitglieder von Hitlers Deutschem Freikorps, dem Vorgänger der SS. Nach dem fehlgeschlagenen Bierhallen-Putsch im Jahre 1923, der Hitler erst einmal kaltstellte und Kappe selbst für kurze Zeit ins Gefängnis Landsberg brachte, wanderte er in die USA aus. Er lebte hier 13 Jahre lang und arbeitete zunächst als Journalist für die deutsch-amerikanische Zeitung „Die Abendpost“. Ab 1932 baute er die Organisation „Friends of New Germany“ mit auf.
Im Januar 1933 wurde aus der wachsenden Bewegung der Amerikadeutsche Bund (oder Amerikadeutscher Volksbund bzw. German-American Bund). Der „Bund“, wie ihn seine Anhänger nur nannten, war die größte Organisation von Nazis, die es jemals auf amerikanischem Boden gab. Kappe kümmerte sich um ihre Propagandazeitschrift „Deutscher Weckruf und Beobachter“.
1937 kehrte Kappe nach Deutschland zurück, wurde Leiter der Presseabteilung des Auslands-Instituts in Stuttgart. Bald nach Kriegsbeginn 1939 rückte er als Gefreiter in die Wehrmacht ein. Dort wurde er 1941 zur „Abwehrgruppe“ versetzt – Hitlers Spionage- und Sabotageeinheit im Oberkommando der Wehrmacht. Kappes Aufgabe als Abwehroffizier war es, Rekruten für die „Operation Pastorius“ zu finden und zu schulen. Es mussten Deutsche sein, die in jungen Jahren lange in den USA gelebt und hier mindestens die High School absolviert hatten, also vertraut mit der amerikanischen Kultur, den dortigen Sitten und Gebräuchen waren und exzellent Englisch sprachen und überzeugte Nazis sein.
Anfang 1942 hatte Kappe zwölf Kandidaten gefunden, die er später auf acht reduzierte. In einem vierwöchigen Trainingslager auf einem abgelegenen Bauernhof in Brandenburg wurde den Männern die Grundlagen von Spionage und Sabotage vermittelt. Sie lernten, wie man eine Brücke sprengt, eine Bombe baut, Codes schreibt und sogar, wie man unsichtbare Tinte anfertigt. Wichtig war es Kappe auch, dass die Spione die amerikanische Kultur und aktuellen Geschehnisse im Land so gut kannten wie ein Einheimischer: Musik, den neuesten Slang, Sport, Politik und was den Durchschnittsamerikaner sonst so beschäftigte. Dies würde die perfekte Tarnung sein, glaubte Kappe. Im späten Mai waren sie dann bereit, ihre Aufgabe zu beginnen.
In seinem Buch über die „Operation Pastorius“ mit dem Titel „They Came to Kill“ („Sie kamen, um zu töten“) beschreibt Autor Eugene Rachlis, Anführer Dasch als arroganten, ehrgeizigen und egozentrischen Menschen. Über die Partei war er insgeheim verbittert, da sie ihm eine bedeutendere Rolle, von der er glaubte, dass sie ihm zustünde, verweigerte. Auch in seinen Jahren in Amerika fühlte er sich verkannt. Er fand nur niedere Tätigkeiten, wo er mit Leuten arbeitete, denen er sich stark überlegen fühlte. Auch seine Mitspione hielt er für minderwertig und gar nicht in der Lage, seine Talente und Fähigkeiten zu würdigen. Nun endlich mit etwas Kommandomacht ausgestattet, war seine Stunde gekommen, glaubte er. Einem Freund gegenüber deutete er an: „Schon sehr bald wirst du über mich in allen Zeitungen lesen.“
In Amagansett erinnerte sich derweil ein Bahnhofsmitarbeiter bei der Befragung durch das FBI, dass er am frühen Samstagmorgen vier Fahrkarten an eine verdächtig aussehende Gruppe Männer verkauft hatte, die nach New York wollten. Das FBI begann mit seiner schwierigen Aufgabe – der Suche nach vier Spionen in Manhattan. Es wusste noch nicht, dass ihm die Arbeit abgenommen werden sollte.
George Dasch suchte nämlich das FBI-Hauptquartier in Washington auf. Dort packte er aus und erzählte den Agenten alles, was er über die „Operation Pastorius“ wusste. Das FBI freute sich über diese enorme Hilfe bei der Lösung des Falles. Was die Einschätzung seiner Person durch die Beamten betraf, hatte Dasch sich jedoch schwer getäuscht. Das FBI sah in ihm keinen Helden, sondern einen Verräter an der eigenen Sache und Feind Amerikas. Als er merkte, wie der Wind wehte, bat der ernüchterte Dasch nur noch darum, nach der Verhaftung seiner drei Mitstreiter nicht mit ihnen zusammen eingesperrt zu werden. Das wurde ihm gewährt.
Die vielen von Dasch gelieferten Informationen ermöglichte nicht nur das Aufgreifen seiner eigenen Männer, aber auch den vier Möchtegernsaboteure vom Ponte Vedra Beach konnten die US-Behörden so habhaft werden.
FBI-Direktor J. Edgar Hoover verkündete stolz, dass „der hinterhältige Plan der Nazis, Amerika zu infiltrieren,“ gescheitert war. Der Fahndungserfolg war der großartigen Arbeit seines FBI zu verdanken. Er verlor kein Wort über die Mithilfe von Dasch. Darüber berichteten Zeitungen erst später, als das Interesse am Fall schon stark abgenommen hatte, und dann auch in einem Licht, dass Dasch als jemanden zeigte, der nur seine eigene Haut retten wollte – sein Plan, als Held in Amerika gefeiert zu werden, ging in keiner Weise auf.
Das Verfahren gegen die Saboteure begann am 22. Juli, der Urteilsspruch wurde am 8. August verlesen. Die Spione Heinck, Quirin, Kerling, Thiel, Haupt und Neubauer wurden zum Tod auf dem elektrischen Stuhl verurteilt. Ihre Leichen wurden auf einem Armenfriedhof außerhalb Washingtons begraben, wo einfache hölzerne Kreuze ihre Gräber markieren. Burger und Dasch wurden zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Im Jahr 1948 wurden diese beiden aus dem Gefängnis entlassen und zurück ins Nachkriegsdeutschland geschickt, wo sie von vielen als Verräter beschimpft wurden, die den Tod ihrer Kameraden zu verantworten hatten. Dasch starb 1992 im Alter von 89 Jahren.
Als Buch und Film lebte die Operation Pastorius weiter. Dass den acht Deutschen dabei die Zerstörung von ganz Amerika zugetraut wurde, hätten sie sich sicher nicht träumen lassen.