New York steht vor gewaltigen Herausforderungen, bevor eine ‘neue Normalität’ einkehren kann

Corona
U-Bahnen werden jede Nacht von 1 – 5 Uhr desinfiziert – Foto Ed Jancick

Die Lage bei den Coronainfektionen in New York und dem Umland verbessert sich zunehmend und das im März befürchtete ‘Worst Case Scenario’ blieb zum Glück bei Weitem aus. (Hier finden Sie Daten zur Entwicklung der Pandemie seit dem Ausbruch.)

Nachdem sich die erste, intensive Phase der Krise wohl dem Ende neigt, macht man sich immer mehr Gedanken, wie es jetzt weitergehen kann. Dabei wird immer klarer, welchen enormen Herausforderungen New York gegenübersteht, um in eine ‚neue Normalität’ zu finden.

Grundvoraussetzung – Viele, viele Tests

New Yorker warten darauf, getestet zu werden – Foto Helen Ebb

Das Global Health Institute der Harvard University führte eine Studie im Auftrag der New York Times durch. Es sollte herausgefunden werden, wie viele Tests nötig sind, um die Grundlage zu schaffen, Corona effektiv einzudämmen, bis die Bevölkerung hoffentlich irgendwanngeimpft werden. Die Prämissen waren, dass alle Menschen mit Symptomen getestet werden und dass jedes positive Ergebnis das Testen von weiteren 10 Personen, mit denen der Infizierte in Kontakt stand, nach sich zieht.

Harvard entwickelte zwei Modelle. Modell 1 zufolge gäbe es am 1. Juni (nur ein Beispielsdatum) 4.180 neu bekannt gewordene Fälle und 35.415 New Yorker müssten an dem Tag getestet werden. Modell 2 sagt 2.233 neue Tagesfälle und 19.352 nötige Tests voraus.

Derzeit liegt man circa bei 15.000 Tests pro Tag und glaubt bis zum August die Kapazität für 50.000 zu haben. Man liegt hier also eigentlich nicht schlecht, gingen die Modelle nicht davon aus, dass Maßnahmen wie Social Distancing (2m Abstand) und Maskenpflicht beibehalten werden.

Kann man Social Distancing und andere Maßnahmen aufrechterhalten, aber das Leben zugleich wieder hochfahren?

Social Distancing im ‘Oculus Transportation Hub’, einem der größten Bahnhöfe der Stadt – Foto Mark Lehman

Social Distancing und der normale Ablauf des Lebens in der 8.5 Millionen Stadt passen nur schwer zusammen. Die Bevölkerungsdichte ist fast drei Mal so hoch wie beispielsweise in Berlin. Es kommen auch mehr Leute von außerhalb nach New York, als in vielen anderen Metropolen. Manche aus dem 20 Millionen Menschen fassenden Großraum, andere aus ganz Amerika und der Welt. Im nur 60 km² großen Manhattan (so groß wie Fürth), dem Herz der Stadt, waren vor Corona an einem Wochentag um die 5 Millionen Menschen unterwegs, darunter Bewohner, Pendler und Touristen.

6 Millionen Mal wurden Menschen jeden Tag in der U-Bahn transportiert, 1.1 Millionen Kinder waren in den Klassenzimmern der Schulen, tausende von Menschen arbeiteten in einem einzigen Büroturm. Die Liste von Situationen, in denen Menschen auf engem Platz zusammenkommen, ließe sich lange fortsetzen.

Man wird kreativ und diszipliniert sein müssen, um Social Distancing beizubehalten, während die Stadt wieder aktiver wird.

Wie geht man mit den gewaltigen wirtschaftlichen Auswirkungen um?

Mindestens bis September bleibt der Broadway zu – Foto Mark Lehman

Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind immens (wir befassen uns kommende Woche genauer mit dem Thema).

Die Entscheidungen, wie und wann Lockerungen erfolgen, sind immer ein Balanceakt: Je mehr und länger Teile der Stadt geschlossen bleiben, desto mehr wird die Pandemie nachlassen, was die Notwendigkeit von Tests und Kontaktverfolgung reduziert und den Verantwortlichen zugleich mehr Zeit gibt, diese Anstrengungen zu verstärken. Ein New York mit stark heruntergefahrenem Leben ist in Sachen Coronabekämpfung extrem hilfreich, aber verursacht ständig zunehmenden wirtschaftliche Schaden.

Beispielsweise haben mehr als 830.000 Menschen in der Stadt seit Mitte März, als die Schließungen begannen, Arbeitslosenhilfe beantragt.

Angst und schwer zu voraussagendes Verhalten der Menschen

Volle U-Bahn Stationen – derzeit unvorstellbar – Foto Mark Lehmann

Auch wenn sich die Coronafälle auf einem relativ niedrigen Niveau einpendeln sollten, bleiben viele Fragen. Wie werden sich Menschen verhalten? Manchen wird es reichen, wenn es statistisch gesehen unwahrscheinlich ist, dass sie ernsthaft an Corona erkranken, andere wollen dass auch die kleinsten Risiken ausgeschaltet werden. Wie sicher ist sicher genug?

Wie viele Menschen werden überhaupt in Restaurants, Shops oder ins Fitnesstudio zurückkehren, wenn sie, wahrscheinlich mit einschneidenden Auflagen, wieder öffnen?

Die Eröffnung der Schulen wird eine wichtige Rolle spielen- Foto David Lee

Können die Menschen dazu gebracht werden, zur Arbeit zu gehen, wenn die Schulen nicht zuerst öffnen?

Wie kann man Arbeit an die Situation anpassen? Was gibt es an Ideen? Geht man möglicherweise zu gestaffelten Arbeitszeiten über, mit vielleicht 3 Schichten, um die Anzahl von Menschen, die zur gleichen Zeit in Büros sind oder zur gleichen Zeit die U-Bahn benutzen, zu reduzieren? (Ähnliches wurde während der Spanischen Grippe 1918 erfolgreich in New York praktiziert). Soll man die Temperatur von Angestellten messen, größere Meetings abschaffen, muss jeder überall Maske tragen oder sogar Helme mit Schutzschildern, müssen alle von verschiedenen Menschen benutzte Gegenstände, beispielsweise eine Kopiermaschine, sofort nach jedem Gebrauch desinfiziert werden?

Wie wird entschieden, wer zuhause arbeiten kann und wer nicht? Was ist fair?

Jede Branche hat dann natürlich auch ihre ganz spezifischen, von Corona ausgelösten, Sorgen. Beispielsweise wird es große Auswirkungen für den Tourismus haben, wie einfach oder schwer es internationalen Besuchern gemacht werden wird, einzureisen.

Umso mehr man sich über diese vor Monaten noch unvorstellbare Situation Gedanken macht, umso mehr Fragen entstehen derzeit. Antworten gibt es noch kaum. Die New Yorker sind aber erfinderisch, und die nächsten Monate werden hier mit Sicherheit interessant.